US-Präsident Barack Obama. (Official White House Photo by Amanda Lucidon)
Washington / Kiew – US-Präsident Barack Obama stimmt die westlichen Partner auf weitere Sanktionen im Zusammenhang mit der russischen Ukraine-Politik ein. Obama unterstrich nach Angaben des Weissen Hauses am Donnerstag in einem Telefongespräch mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, die USA, die Europäische Union und andere globale Partner müssten darauf vorbereitet sein, einer weiteren russischen Eskalation mit zusätzlichen Sanktionen zu begegnen.
Obama und Merkel sprachen vor allem über die besorgniserregende Lage in der Ostukraine. Sie forderten Moskau erneut auf, seine Truppen aus dem Grenzgebiet abzuziehen. Die Kanzlerin und der US-Präsident betonten die Wichtigkeit einer starken finanziellen Unterstützung der internationalen Gemeinschaft für die Ukraine.
Bei dem Telefonat sei es am Donnerstagabend insbesondere um die Themen des bevorstehenden Treffens der Aussenminister der USA, Russlands, der Ukraine sowie der EU-Aussenbeauftragten gegangen, sagte ein Regierungssprecher in Berlin. Das Krisentreffen soll am kommenden Donnerstag, 17. April, in Genf stattfinden.
Räumung von besetzten staatliche Gebäuden
Die Regierung in Kiew will am Freitag eine Räumung von besetzten staatlichen Gebäuden erreichen. Interimspräsident Alexander Turtschinow hat den prorussischen Demonstranten im Osten der früheren Sowjetrepublik Straffreiheit in Aussicht gestellt, sollten sie die seit Tagen besetzten Häuser räumen. Die Verhandlungen waren zuletzt aber sehr zäh verlaufen. Innenminister Arsen Awakow hatte den Besetzern mit Räumung gedroht. Die Demonstranten fordern ein lokales Referendum. Dabei könnte es auch um eine «Unabhängigkeit» ihrer Region gehen. Die Regierung in Kiew wirft Moskau vor, mit Hilfe von Provokateuren Unruhe zu schüren.
Nach Ansicht hoher Nato-Militärs sind rund 35’000 bis 40’000 russische Soldaten im Grenzgebiet zur Ukraine jederzeit einsatzbereit. «Dies sind beachtliche Streitkräfte von hoher Einsatzbereitschaft. Und sie sind in der Lage, sich sehr rasch zu bewegen», sagte der britische Brigadegeneral Gary Deakin, Direktor des Zentrums für Krisenmanagement im militärischen Nato-Hauptquartier in Mons (Belgien), am Donnerstag vor Journalisten. Russland bezeichnete die vorgelegten Satelliten-Aufnahmen dagegen als veraltet.
«Gruselgeschichte» der Nato
Laut Nato sind an mehr als 100 Standorten Artillerie, Panzerfahrzeuge, Hubschrauber, Spezialeinheiten, Kampfflugzeuge sowie die dazugehörenden Logistikeinheiten stationiert. Die meisten Einheiten befänden sich in provisorischen Unterkünften, Flugzeuge und Fahrzeuge stünden im Freien. «Das sind keine Truppen, die sich immer dort befinden, wo sie gerade sind», sagte Brigadegeneral Deakin. Die Einheiten würden seit drei bis vier Wochen auch nicht – etwa zu Manöverzwecken – bewegt: «Es ist sehr ungewöhnlich, eine so grosse Truppe so lange einfach in der Landschaft stehen zu lassen.»
Russlands stellvertretender Verteidigungsminister Anatoli Antonow sprach von einer «Gruselgeschichte» der Nato. «Auf den Bildern sind Einheiten des Südlichen Wehrbezirks zu sehen, die im Sommer 2013 geübt haben. Damals fanden auch im Raum der ukrainischen Grenze Manöver statt», sagte ein Offizier des Generalstabs am Donnerstag in Moskau der Staatsagentur Ria Nowosti.
Bewegliche gepanzerte Verbände
Die Nato sprach zudem von gepanzerten Verbänden, die an verschiedenen Orten nur 40 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt entlang grosser Fernstrassen stationiert seien. «Sie sind zweifellos in der Lage, sehr rasch in die Ukraine vorzurücken, falls ihnen das befohlen wird.» Allerdings gebe es keine Klarheit über die Absichten des russischen Militärs. Die Zahl der Soldaten – die Schätzungen der Nato beruhen vor allem auf der Menge von Fahrzeugen und Zelten – habe sich ungeachtet russischer Abzugsankündigungen nicht verändert.
Deakin sagte, er rechne in der kommenden Woche, auf jeden Fall aber innerhalb der kommenden 14 Tage, mit einer Entscheidung des Nato-Rates über eine verstärkte Militärpräsenz der Nato in den östlichen Bündnisstaaten. Die Militärs haben auf Anweisung der Nato-Aussenminister «sichtbare Massnahmen» vorgeschlagen, die den östlichen Nato-Mitgliedern den Schutz durch das Bündnis demonstrieren.
Deakin wollte nicht sagen, welche Massnahmen die Militärs vorschlagen. Neben einer verstärkten Luftüberwachung gelten auch Manöver als wahrscheinlich. Eine ständige Stationierung substanzieller Streitkräfte sei aber nicht geplant. Der General versicherte, die Massnahmen seien «angemessen und deeskalierend».
Gaslieferungen als Machtmittel
Die USA werfen Russlands Präsident Wladimir Putin in der Ukraine-Krise vor, Gaslieferungen als Machtmittel missbrauchen zu wollen. «Wir verurteilen die russischen Versuche, Energie als ein Zwangsmittel gegen die Ukraine zu nutzen», sagte die Sprecherin im Aussenamt in Washington, Jen Psaki.
Ähnlich äusserte sich das Weisse Haus. Es sei «völlig unangemessen, Energieexporte einzusetzen, um diplomatische oder geopolitische Ziele zu erreichen», sagte Regierungssprecher Jay Carney am Donnerstag. Dies habe man gegenüber Moskau deutlich gemacht.
Putin hatte mehrere Staats- und Regierungschefs der EU über die kritische Lage in der Ukraine wegen wachsender Gasschulden bei Russland informiert. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte, Putin habe in einem Brief vor den Folgen für den Gastransit gewarnt und zugleich einen Dialog für eine Krisenlösung vorgeschlagen.
Wegen unbezahlter Rechnungen hatte Russland der Ukraine zuletzt 2009 das Gas zeitweilig abgestellt, was auch zu Lieferengpässen in der EU geführt hatte. Zudem hatte Moskau im Zuge der Spannungen mit Kiew jüngst die Preise für die Ukraine erhöht. Experten halten einen neuen Gas-Konflikt für möglich. (awp/mc/ps)