Britische Parlamentswahl: Premier Sunak droht heftige Pleite
London – Das Vereinigte Königreich wählt ein neues Parlament. Premierminister Rishi Sunak und seiner Konservativen Partei droht eine historische Niederlage. Meinungsforscher erwarten, dass die sozialdemokratische Labour-Partei von Keir Starmer einen haushohen Sieg einfährt. Damit würde der 61-Jährige als Nachfolger von Sunak in die Downing Street einziehen. Mit Schliessung der Wahllokale um 23.00 Uhr (MESZ) wird eine Prognose erwartet.
«Wählt den Wechsel», schrieb Starmer auf der Plattform X. In seiner letzten Rede vor der Abstimmung betonte er, Grossbritannien könne sich fünf weitere Jahre mit konservativer Regierung nicht leisten. Unter seiner Führung werde das Land ein neues Kapitel aufschlagen.
Projektionen sagen Labour weit mehr als 400 der 650 Mandate im Unterhaus (House of Commons) voraus. Damit liegt die Partei auf Kurs, die grösste Mehrheit seit rund 190 Jahren zu erringen.
Dabei ist Labour gar nicht so sehr beliebt. «Es ist eine Wahl, die die Tories verlieren – und nicht eine, die Labour gewinnt», sagte der Umfrageexperte John Curtice von der Universität Strathclyde in Glasgow dem Portal «Politico». Umfragen sehen Labour bei weniger als 40 Prozent der Stimmen.
Im britischen Mehrheitswahlrecht gewinnt aber nur die Kandidatin oder der Kandidat mit den meisten Stimmen den Wahlkreis. Alle übrigen Stimmen haben keine Auswirkung.
Ein weiterer Grund ist die wachsende Zustimmung für kleinere Parteien wie die Liberaldemokraten, die einigen Umfragen zufolge sogar die Konservativen als stärkste Oppositionsfraktion ablösen könnten, sowie die rechtspopulistische Partei Reform UK.
Die einzelnen Wahlkreise werden noch bis zum Freitagmorgen ausgezählt. König Charles III. beauftragt den neuen Premierminister am Freitag offiziell mit der Regierungsbildung.
Sunak wählte am Morgen
Sunak gab schon kurz nach Öffnung der Wahllokale um 7.00 Uhr (Ortszeit, 8.00 Uhr MESZ) seine Stimme ab. In Begleitung seiner Ehefrau Akshata Murty erschien der 44-Jährige im Weiler Kirby Sigston und winkte den Fotografen zu. Es gilt als möglich, dass Sunak als erster amtierender Premier seinen Wahlkreis – Richmond and Northallerton in Nordengland – verliert und den Wiedereinzug ins Parlament verpasst.
«Wählt die Konservativen, um eine Supermehrheit der Labour-Partei zu verhindern, die höhere Steuern für eine Generation bedeuten würde», schrieb Sunak bei X. Eine solche «Super-Mehrheit» gibt es im britischen Parlamentssystem nicht. Es ist gleich, ob eine Partei im Unterhaus eine Mehrheit von 20 oder 200 Sitzen hat.
Wahlberechtigt sind mehr als 46 Millionen Menschen, die jeweils eine Stimme haben. Es ist die erste Parlamentswahl, bei der ein offizieller Ausweis für die Stimmabgabe vorgezeigt werden muss. Gut 6,7 Millionen Menschen nutzten die Möglichkeit zur Briefwahl.
Alle 650 Sitze im Unterhaus werden per Direktmandat vergeben. Die absolute Mehrheit im Unterhaus (House of Commons) beträgt 326 Sitze. Bei der bisher letzten Wahl 2019 hatten die Tories 365 Sitze gewonnen, Labour hatte 202 Mandate.
Konservative hoffen auf Schadensbegrenzung
Experten betonten, die Konservativen seien nur noch auf Schadensbegrenzung aus. Vor Öffnung der Wahllokale behauptete Sunak in stündlichen Posts auf X, die Sozialdemokraten planten Steuererhöhungen auf breiter Fläche. Das stimmt nach Einschätzung von Kommentatoren nicht, Labour-Chef Starmer weist den Vorwurf zurück.
Der frühere Chef der Anklagebehörde CPS kündigte ein «neues Zeitalter der Hoffnung und Chancen» an. «Dies ist eine grossartige Nation mit grenzenlosem Potenzial», sagte Starmer am Vorabend der Wahl. «Die Briten verdienen eine Regierung, die ihren Ambitionen entspricht. Heute haben wir die Chance, gemeinsam mit Labour mit dem Wiederaufbau Grossbritanniens zu beginnen.»
Gründe für den Niedergang der Konservativen gibt es viele. Vor allem haben zahlreiche Skandale und Affären, vor allem unter dem ehemaligen Premierminister Boris Johnson, das Vertrauen der Menschen in die Tory-Partei zerstört, die seit 14 Jahren regiert. Hinzu kommt wirtschaftliche Stagnation.
Rechtspopulisten nehmen Konservativen viele Stimmen weg
Die rechtspopulistische Partei Reform von Nigel Farage, der einst den Brexit massgeblich vorantrieb, dürfte erstmals ins Unterhaus gewählt werden. Offen ist, wie viele Wahlkreise die ehemalige Brexit-Partei gewinnen kann. Experten rechnen vor allem damit, dass Farage und Co. die Konservativen viele Stimmen am rechten Rand kosten.
Die Wahl könnte auch Auswirkungen auf die Debatte um eine schottische Unabhängigkeit haben. Sollte die Schottische Nationalpartei (SNP) von Regierungschef John Swinney, die für eine Unabhängigkeit von Grossbritannien und eine Rückkehr in die EU eintritt, im nördlichen britischen Landesteil weniger Sitze gewinnen als Labour, dürfte die Frage vorerst keine Rolle spielen. (awp/mc/ps)