Polarisierung und Repression nehmen weltweit zu

Polarisierung und Repression nehmen weltweit zu
Recep Tayyip Erdogan, türkischer Staatspräsident.

Gütersloh – Die Qualität von Demokratie, Marktwirtschaft und Regierungsführung in Schwellenländern ist auf den niedrigsten Stand seit zwölf Jahren gefallen. Das zeigt die aktuelle Ausgabe des Transformationsindex der Bertelsmann Stiftung (BTI), der seit 2006 regelmässig die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in 129 Entwicklungs- und Schwellenländern untersucht.

40 Regierungen, darunter auch solche aus fortgeschrittenen Demokratien, haben in den vergangenen zwei Jahren den Rechtsstaat beschnitten, und in 50 Ländern wurden politische Freiheiten eingeschränkt. Weltwirtschaftlichen Herausforderungen begegneten die Machthaber in vielen Ländern nur unzureichend und häufig auf dem Rücken einkommensschwacher Bevölkerungsschichten. Zahlreiche Regierungen finden kein Rezept gegen wachsende soziale, ethnische und religiöse Konflikte – oder schüren diese Spannungen oftmals sogar.

Wehe, sie kommen an die Macht…
Eine wesentliche Ursache für die schlechten Ergebnisse ist laut Transformationsindex die fehlende Fähigkeit und Einsicht vieler Regierungen, auf innergesellschaftliche Konflikte dialogbereit und konsensorientiert zu reagieren. Die Bereitschaft der Regierungen, Konflikte zu entschärfen, hat laut dem Index seit 2006 in 58 Staaten abgenommen. Einmal gewählt, beschneiden viele Machthaber politische Freiheitsrechte, um ihren Machtapparat auszubauen. Dies gilt besonders für autoritäre Regierungen wie in Ungarn oder der Türkei, obwohl diese selbst durch Bürgerprotest und Polarisierung an die Macht gekommen sind. «Viele Machthaber versuchen ihren Führungsanspruch durch repressive Massnahmen zu zementieren. Doch auf lange Sicht führt die Herrschaft durch Zwang statt Dialog immer in eine Sackgasse», kommentiert Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung, die Studienergebnisse.

Weltweiter Trend: mehr Ungleichheit, weniger Freiheit
Eine unzureichende sozioökonomische Entwicklung sehen die Autoren als eines der grössten Hindernisse für die Entwicklung in Richtung Demokratie und wirtschaftlicher Nachhaltigkeit. In 72 Entwicklungs- und Schwellenländern herrschen der Studie zufolge massive Armut und hohe soziale Ungleichheit. 22 von ihnen, darunter Indien, Südafrika und Venezuela, haben sich in diesem Bereich in den letzten zehn Jahren sogar noch verschlechtert. Im selben Zeitraum sank auch der Anteil der untersuchten Länder, die bei der sozialen Inklusion mässig bis gut abschneiden – von einem Drittel auf ein Viertel.

3,3 Milliarden Menschen werden von Autokraten regiert
Weltweit leben immer mehr Menschen nicht nur in ungleichen, sondern auch in repressiven Regimen: Aktuell werden 3,3 Milliarden Menschen autokratisch regiert, so viele wie noch nie seit Start der Untersuchung. Ihnen stehen 4,2 Milliarden Menschen gegenüber, die in Demokratien leben. Von den 129 untersuchten Ländern stuft der BTI 58 als Autokratien und 71 als Demokratien ein. 2016 betrug das Verhältnis noch 55 zu 74. Aber es ist weniger die leicht steigende Zahl von Autokratien, die bedenklich stimmt. Problematisch ist, dass in immer mehr Demokratien Bürgerrechte beschnitten und rechtsstaatliche Standards ausgehöhlt werden. Ehemalige Leuchttürme der Demokratisierung wie Brasilien, Polen oder die Türkei gehören zu den grössten Verlierern im BTI.

Nur Burkina Faso und Sri Lanka haben im Untersuchungszeitraum grössere Fortschritte in Richtung Demokratie gemacht. Demgegenüber stehen insgesamt 13 Staaten, darunter Jemen, Mosambik und die Türkei, in denen sich die politische Situation deutlich verschlechtert hat. Fünf dieser 13 Länder erfüllen keine demokratischen Mindeststandards mehr: Bangladesch, Libanon, Mosambik, Nicaragua und Uganda, deren Demokratie über Jahre schleichend ausgehöhlt wurde, werden heute autokratisch regiert. Häufig gab für diese Einstufung den Ausschlag, dass die Länder die Freiheit ihrer Wahlen eingeschränkt haben.

Demokratien bieten bessere Regierungsleistung als Autokratien
Für die Bürger sind diese Entwicklungen bedenklich, denn Korruption, soziale Ausgrenzung und wirtschaftliche Wettbewerbshindernisse sind in Autokratien nach wie vor stärker verbreitet als in Demokratien. Laut BTI sind zwölf Demokratien erfolgreich bei der Korruptionsbekämpfung, aber nur eine Autokratie. Nur zwei Autokratien, aber elf Demokratien haben Chancengleichheit hinreichend hergestellt. Gut funktionierende Markt- und Wettbewerbsordnungen weisen 27 Demokratien, aber nur zwei Autokratien auf. «Der Transformationsindex zeigt deutlich, dass Autokratien keineswegs stabiler und effizienter sind als Demokratien», so Aart De Geus.

Zwar gilt China, dessen Anteil an der Weltwirtschaft in den letzten zehn Jahren am stärksten gestiegen ist, vielen aufgrund seiner jüngeren Geschichte als Musterbeispiel für Wohlstand in einem Zustand der Unfreiheit. Doch wer die wirtschaftlichen Erfolge Chinas allein seinem politischen System zuschreibt, verkennt die grösstenteils schlechten wirtschaftlichen Ergebnisse von Autokratien insgesamt – und die Gefahren eines Personenkults. Das verdeutlicht auch der Blick in andere autokratische Systeme wie Russland, Thailand und Venezuela. Hier stagnieren sowohl die wirtschaftliche als auch die demokratische Entwicklung seit Jahren, so die BTI-Experten. (Bertelsmann Stiftung/mc/pg)

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