Ministerpräsident Passos schliesst Rücktritt aus.
Lissabon – Die trügerische Ruhe an der Euro-Schuldenfront ist vorbei: Portugals Regierung stürzt ins politische Chaos, Griechenland schreckt durch neue Schuldenschnitt-Diskussionen auf. In Brüssel wächst die Besorgnis insbesondere über die Lage in Lissabon. Die deutsche Regierung drängt Athen zu weiteren Reformschritten und erwartet auch von Portugal, trotz der Erschütterungen Kurs zu halten. An den Finanzmärkten wächst die Nervosität. Am Mittwoch verloren die Kurse an den wichtigsten europäischen Börsen massiv. Auch der Eurokurs fiel zum Dollar deutlich.
Aufgrund der politischen Turbulenzen erlebte die Börse in Lissabon am Mittwoch mit einem Sturz des Leitindex PSI20 um 6,2 Prozent den schlimmsten Handelsbeginn seit Oktober 1998. Die Kurse portugiesischer Staatsanleihen, aber auch von Papieren anderer europäischer Krisenländer wie Italien und Spanien, gerieten massiv unter Druck.
Demonstrationen in Lissabon
In Lissabon brachten die kurz aufeinanderfolgenden Rücktritte von Finanzminister Vítor Gaspar, Architekt der harten Sparpläne, und Aussenminister Paulo Portas, die Mitte-Rechts-Regierung ins Wanken. Nachdem Ministerpräsident Pedro Passos Coelho am späten Dienstagabend eine Amtsniederlegung ausschloss, gingen in Lissabon und Porto Hunderte auf die Strassen, um die Absetzung des Regierungschefs zu fordern. Der grösste Gewerkschaftsdachverband CGTP kündigte für Samstag eine Massenkundgebung an, um Passos aus dem Amt zu jagen. Die Opposition und die Gewerkschaften forderten Staatspräsident Aníbal Cavaco Silva zu Neuwahlen auf.
EU-Kommission zeigt sich besorgt
Die Regierungskrise sorgte in Brüssel für Unruhe. Portugal hängt immer noch am Tropf internationaler Geldgeber. «Die Kommission und ich persönlich verfolgen die Lage mit Sorge», liess Behördenchef José Manuel Barroso am Mittwoch über einen Sprecher mitteilen. Die ersten Reaktionen der Finanzmärkte zeigten, dass die neu aufgebaute Glaubwürdigkeit des Landes im Finanzbereich durch politische Instabilität beschädigt werden könnte. Barroso forderte eine rasche Klärung der Lage. Cavaco hat Passos und Vertreter der Parteien im Parlament für Donnerstag einbestellt.
Deutsche Regierung bleibt zuversichtlich
Um die Vorgaben der Geldgeber zu erfüllen, müssen sowohl Portugal als auch Griechenland die Reformanstrengungen vorantreiben und harte Sparauflagen erfüllen. «Die Bundesregierung ist zuversichtlich, dass Portugal am vereinbarten Reformkurs festhalten wird», sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin. Deutschland werde den Partner dabei unterstützen. Von Griechenland verlangen die Euroländer, die geforderten Reformen energischer anzupacken. Nicht nur der Internationale Währungsfonds (IWF) geht davon aus, dass die Griechen ihre hohen Schulden au Dauer nicht stemmen können. Die Diskussionen über Schuldenerleichterungen flammten in Athen zuletzt wieder auf.
In Griechenland laufen die Prüfungen der Troika-Kontrolleure von EU, IWF und Europäischer Zentralbank (EZB) auf Hochtouren. Es geht um die Vorbedingungen für die Auszahlung einer weiteren Kredittranche von 8,1 Milliarden Euro bis Ende Juli. Die Verwaltungsreform und der damit zusammenhängende Stellenabbau im öffentlichen Dienst gehören zu den Kernpunkten, die noch zu lösen sind. So hätte Griechenland bis Ende Juni 12.500 Beamte in eine sogenannte «Mobilitätsreserve» bei verminderten Bezügen schicken sollen – was nicht passierte.
Troika droht Griechenland
«Falls wir die Überprüfung (durch die Troika) nicht abschliessen, sehe ich für die nächsten drei Monate keine Auszahlung», sagte ein hoher EU-Beamter am Mittwoch in Brüssel. Eine verzögerte Kreditzahlung werde Athen aber nicht in die Staatspleite treiben, weil kurzfristige Finanzierungen über die Märkte möglich seien, hiess es in Brüssel. Portugal sei derzeit gut finanziert.
Die Euro-Problemländer Portugal und Griechenland werden den Euro-Finanzministern bei ihren Beratungen am kommenden Montag viel Kopfzerbrechen bereiten. In beiden Ländern liegt die Arbeitslosigkeit auf Rekordniveau, die Wirtschaft steckt tief in der Rezession. Passos schloss eine freiwillige Amtsniederlegung mit den Worten aus: «Ich trete nicht zurück, ich lasse mein Land nicht im Stich.» «Wir haben noch viel Arbeit vor uns und wollen die Früchte ernten, die wir mit so viel Mühe gesät haben», fügte der 48-Jährige an. (awp/mc/pg)