Berlin – Vor dem EU-Gipfel zeichnet sich eine breite Unterstützung für das Vorhaben ab, der Ukraine und auch Moldau den Status eines EU-Beitrittskandidaten zu geben. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj machte erneut deutlich, dass sein von Russland angegriffenes Land zu Europa gehört. Aus russischer Sicht ist das Verhältnis zum Westen dauerhaft beschädigt, wie Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte.
Zur Unterstützung der Ukraine hat Deutschland nun die ersten Panzerhaubitzen in das Land geliefert. Moskau drohte zugleich dem EU- und Nato-Staat Litauen mit Gegenmassnahmen zu Transitbeschränkungen für die zu Russland gehörende Ostsee-Exklave Kaliningrad.
Zuversicht vor EU-Gipfel – «Es formt sich ein Konsens»
Die EU-Kommission hatte am Freitag empfohlen, die Ukraine und Moldau offiziell zu Kandidaten für den Beitritt zur EU zu ernennen. Die Entscheidung darüber liegt bei den Regierungen der 27 EU-Staaten. Sie beraten ab Donnerstag beim Gipfel in Brüssel.
Es gebe derzeit kein einziges Land, das Probleme mache, sagte Luxemburgs Aussenminister Jean Asselborn am Dienstag in Luxemburg. Man werde Einstimmigkeit zeigen. Der französische Europastaatssekretär Clement Beaune sagte: «Ich denke, es formt sich gerade ein Konsens.» Er sei optimistisch, aber auch vorsichtig, weil es bei EU-Gipfeln Einstimmigkeit brauche. Offen ist beispielsweise noch, ob EU-Staaten wie Österreich, Slowenien und Kroatien ihre Zustimmung zum EU-Beitrittskandidatenstatus für die Ukraine und Moldau an Fortschritte bei den Bemühungen um eine EU-Erweiterung auf den Westbalkan knüpfen.
Selenskyj bekräftigte, sein Land beweise jeden Tag, dass es schon jetzt Teil eines vereinten europäischen Werteraums sei. Die Bestrebungen der Ukraine, der EU beizutreten, machten Russland sehr nervös, sagte Selenskyj in seiner Videoansprache in der Nacht zu Dienstag.
Moskau misstraut dem Westen und droht Litauen
Russland hatte die Ukraine am 24. Februar angegriffen. Moskau erhebt immer wieder Vorwürfe gegen westliche Staaten – etwa wegen der militärischen Unterstützung für die Ukraine. «Ja, es wird eine lange Krise werden», sagte Kremlsprecher Peskow in einem Interview des US-Fernsehsenders MSNBC über die Beziehungen zum Westen. «Wir werden dem Westen nie wieder vertrauen», fügte er hinzu.
Mit Drohungen reagierte Moskau auf den Schritt Litauens, den Bahntransit von Waren über sein Territorium nach Kaliningrad zu verbieten, die auf westlichen Sanktionslisten stehen. Moskau werde auf solche «feindlichen Handlungen» mit Gegenmassnahmen antworten, sagte der russische Sicherheitsratschef Nikolai Patruschew am Dienstag laut der Agentur Interfax bei einem Besuch in Kaliningrad. «Deren Folgen werden schwere negative Auswirkungen auf die Bevölkerung Litauens haben.»
Litauen wies die Beschwerden Moskaus zurück. «Es gibt keine Blockade von Kaliningrad», sagte Regierungschefin Ingrida Simonyte der Agentur BNS zufolge am Dienstag in Vilnius. Sie verwies darauf, dass nur Güter auf Sanktionslisten betroffen seien – vor allem Stahl und Eisenmetalle. Der Transport aller anderen Waren sowie von Passagieren finde hingegen statt.
Kaliningrad liegt an der Ostsee und grenzt an Litauen und Polen. Von Russland aus ist das Gebiet also nur per Transit durch eines der beiden EU-Länder zu erreichen.
Schwerer Stand für ukrainische Armee bei Sjewjerodonezk
Epizentrum der kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine ist weiter der Grossraum Sjewjerodonezk – Lyssytschansk. Der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, sagte am Dienstag, die ukrainischen Truppen dort seien vom Nachschub abgeschnitten. Der Gouverneur des ostukrainischen Gebiets Luhansk, Serhij Hajdaj, schrieb am Montagabend in seinem Telegram-Kanal, russische Truppen seien in das Industriegebiet der Stadt vorgedrungen. Ukrainische Truppen kontrollieren demnach nur noch das Territorium des Chemiewerks Azot.
Zugleich hat der ukrainische Widerstand nach Einschätzung britischer Geheimdienste bislang erfolgreich verhindert, dass Russland Kontrolle über das an die Ukraine grenzende Meeresgebiet übernimmt. Dies habe das ursprüngliche Konzept der russischen Invasion untergraben, hiess es am Dienstag in einem Update des britischen Verteidigungsministeriums. Ursprünglich habe Moskau vorgehabt, die Region um den wichtigen ukrainischen Hafen von Odessa vom Schwarzen Meer aus anzugreifen.
Berlin liefert Panzerhaubitzen
Knapp vier Monate nach Kriegsbeginn sind die ersten schweren Artilleriegeschütze aus Deutschland nach ukrainischen Angaben in der Ukraine eingetroffen. Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow bedankte sich am Dienstag auf Twitter bei Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) für die Lieferung der Panzerhaubitzen 2000. Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk bestätigte der Deutschen Presse-Agentur, dass die modernen Geschütze in der Ukraine eingetroffen sind.
Die Bundesregierung legt seit Dienstag auf ihrer Internetseite zudem alle vollzogenen und geplanten Waffenlieferungen an die Ukraine offen. Man passe sich damit der Praxis der engsten Verbündeten – zum Beispiel der USA – an, erklärte Regierungssprecher Steffen Hebestreit dazu. (awp/mc/pg)