Putin ordnet Teilmobilmachung in Russland an – und droht dem Westen
Moskau – Knapp sieben Monate nach Beginn des Krieges gegen die Ukraine hat Russland eine Teilmobilmachung der eigenen Streitkräfte angeordnet. Er habe diese Entscheidung nach einem Vorschlag des Verteidigungsministeriums getroffen und das Dekret unterschrieben, sagte Kremlchef Wladimir Putin in einer Fernsehansprache am Mittwochvormittag. Die Teilmobilisierung solle noch am selben Tag beginnen. Damit will Putin auch Personalprobleme an der Front lösen. Zugleich erklärte er, die angekündigten Abstimmungen in besetzten ukrainischen Gebieten über einen Beitritt zu Russland – die weltweit als völkerrechtswidrig angesehen werden – zu unterstützen.
Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu, der kurz nach Putin sprach, nannte 300’000 Reservisten, die für Kämpfe mobilisiert werden sollen. Eingesetzt werden sollen demnach Menschen mit Kampferfahrung. Insgesamt gebe es 25 Millionen Reservisten in Russland, sagte Schoigu. Zugleich äusserte er sich erstmals seit dem Frühjahr zu russischen Verlusten – und bezifferte sie mit knapp 6000. Unabhängige Beobachter gehen allerdings von deutlich höheren Zahlen aus.
EU: Putin verzweifelt
Kiew reagierte mit Spott auf die angekündigte Teilmobilmachung. Der externe Berater des ukrainischen Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak, fragte auf Twitter: «Läuft immer noch alles nach Plan oder doch nicht?» Der für «drei Tage» geplante Krieg dauere bereits 210 Tage. Nach Ansicht der EU sind die Ankündigungen ein Zeichen der Verzweiflung Putins. Die Scheinreferenden und die Teilmobilisierung seien «ein weiterer Beweis dafür, dass Putin nicht an Frieden interessiert ist, sondern daran, seinen Angriffskrieg zu eskalieren», so der Sprecher des EU-Aussenbeauftragten Josep Borrell, Peter Stano.
Die ukrainischen Streitkräfte hatten auch dank westlicher Militärhilfen zuletzt wichtige Erfolge bei ihren Gegenoffensiven erzielt und im Osten das Gebiet Charkiw fast vollständig zurückerobert. Daraufhin waren in Russlands kremlnahen Kreisen Forderungen nach deutlichen Konsequenzen laut geworden.
Scheinreferenden angekündigt
Am Dienstag kündigten mehrere von Moskau besetzte Gebiete in der Ukraine an, noch in dieser Woche über einen Beitritt zur Atommacht Russland abstimmen zu lassen. Die international nicht anerkannten «Volksrepubliken» Luhansk und Donezk im Osten sowie Besatzer des südlichen Gebiets Cherson und der Region Saporischschja setzten Scheinreferenden vom 23. bis 27. September an. Es handelt sich um Scheinreferenden, weil sie ohne Zustimmung der Ukraine, unter Kriegsrecht und nicht nach demokratischen Prinzipien ablaufen. Auch eine freie Arbeit internationaler unabhängiger Beobachter ist nicht möglich.
Vorgehen wie auf der Krim
Auf ähnliche Weise annektierte Russland 2014 die ukrainische Schwarzmeer-Halbinsel Krim. International wurde die Abstimmung nicht anerkannt. Auch diesmal ist eine Anerkennung nicht in Sicht. Dennoch würde der Kreml Angriffe auf Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja im Falle einer Einstufung als russisch künftig als Angriffe auf eigenes Staatsgebiet werten.
Putin droht
Vor diesem Hintergrund drohte Putin am Mittwoch: «Wenn die territoriale Integrität unseres Landes bedroht wird, werden wir zum Schutz Russlands und unseres Volkes unbedingt alle zur Verfügung stehenden Mittel nutzen. Das ist kein Bluff.» Zugleich warnte der Kremlchef vor einer «Erpressung» Russlands mit Atomwaffen. «Diejenigen, die versuchen, uns mit Atomwaffen zu erpressen, sollten wissen, dass die Kompassrose sich in ihre Richtung drehen kann», sagte Russlands Präsident.
«In unserer historischen Tradition, im Schicksal unseres Volkes liegt es, diejenigen zu stoppen, die nach der Weltherrschaft streben, die unserem Mutterland, unserer Heimat mit Zerstückelung und Unterdrückung drohen», sagte Putin. Die Atomwaffen Russlands sind im Zuge des Krieges in der Ukraine in Kampfbereitschaft versetzt worden.
Russland hat seinen Einmarsch in der Ukraine am 24. Februar unter anderem mit der angeblichen «Befreiung» der Gebiete Donezk und Luhansk von ukrainischen Nationalisten begründet. Internationale Experten sahen das aber von Anfang an als Vorwand für einen brutalen Angriffskrieg, im Zuge dessen russische Truppen auch grosse Teile südukrainischer Gebiete eroberten.
Ungeachtet der jüngsten Entwicklungen ist in Russland weiterhin offiziell nur von einer «militärischen Spezial-Operation» die Rede. Zugleich mehren sich Stimmen von Kriegsbefürwortern, die Russland im Kampf gegen die Nato und den Westen sehen. (awp/mc/pg)