Putin: Waffenfreigabe wäre Nato-Kriegsbeteiligung
St.Petersburg – Russlands Präsident Wladimir Putin wertet einen möglichen ukrainischen Einsatz weitreichender westlicher Präzisionswaffen gegen Ziele tief auf russischem Territorium als Kriegsbeteiligung der Nato. «Das wird bedeuten, dass die Länder der Nato, die USA, die europäischen Länder mit Russland kämpfen», sagte der Kremlchef auf die Frage eines Journalisten des Staatsfernsehens in St. Petersburg.
Putin erklärte weiter, damit würde sich das Wesen des Krieges ändern. «Wir werden entsprechende Entscheidungen treffen, ausgehend von den Bedrohungen, denen wir ausgesetzt sein werden», sagte er, ohne Details zu nennen.
Die vom Westen unterstützte Ukraine fordert seit längerem von den USA und Grossbritannien, den Einsatz weitreichender Raketen im russischen Hinterland zu erlauben. Ihr erklärtes Ziel ist es, die russische Logistik zu stören und Militärflugplätze der Luftwaffe weit hinter der russisch-ukrainischen Grenze anzugreifen.
Die USA beschränken den Einsatz ihrer Waffen gegen Russland nach offizieller Darstellung auf die Abwehr der russischen Offensive gegen die ostukrainische Stadt Charkiw. Die britische Regierung äussert sich bislang nicht konkret zur Frage, was sie der Ukraine mit den von ihr zur Verfügung gestellten Waffen genau erlaubt.
Putin: Ukraine kann derartige Schläge nicht ohne Hilfe durchführen
Putin begründete seine Schlussfolgerungen damit, dass die ukrainische Armee nicht fähig sei, derartige Schläge ohne fremde Hilfe durchzuführen. «Das ist nur möglich mit Aufklärungsdaten von Satelliten entweder der Europäischen Union oder der Vereinigten Staaten, also von Nato-Satelliten», sagte er. Die Ukraine verfüge nicht über solche Aufklärungsmittel.
Zudem sind laut Putin nur Nato-Soldaten zu derartigen Einsätzen in der Lage. Daher gehe es nicht um die Frage, ob Kiew der Einsatz dieser Waffen erlaubt werde oder nicht. «Es geht darum, ob eine Entscheidung getroffen wird, dass sich die Nato-Länder direkt am kriegerischen Konflikt beteiligen oder nicht», sagte Putin.
Das ukrainische Militär verfügt soweit bekannt nur über westliche Raketen und Marschflugkörper mit einer maximalen Reichweite von 300 Kilometern. Die russische Luftwaffe hat ihre Flugzeuge US-Angaben zufolge aber bereits ausserhalb der Reichweite dieser Waffen stationiert. Für Freitag wird ein Treffen von US-Präsident Joe Biden und Grossbritanniens Premier Keir Starmer in Washington erwartet, bei dem die Waffenfreigabe erörtert werden soll.
Britischer Premier: Wollen keinen Konflikt mit Russland
Der britische Premier wies unterdessen Putins Behauptung zurück, dass eine Freigabe weitreichender Waffen für Angriffe im russischen Hinterland einer Kriegsbeteiligung der Nato gleichkäme. Grossbritannien wolle keinen Konflikt mit Russland, sagte Starmer auf dem Weg nach Washington. «Die Ukraine hat ein Recht auf Selbstverteidigung», dieses Recht unterstütze Grossbritannien voll und ganz und biete in diesem Kontext Ausbildungsmöglichkeiten an. «Aber wir suchen keinen Konflikt mit Russland – das ist nicht im Geringsten unsere Absicht», betonte der britische Premier.
«Ich möchte morgen sicherstellen, dass diese Diskussionen, die taktischen Diskussionen, in den richtigen strategischen Kontext der Situation in der Ukraine gestellt werden», sagte Starmer.
Washington signalisiert Anpassung militärischer Unterstützung
Die USA sind nach Angaben ihres Aussenministers Antony Blinken derweil bereit, die militärische Unterstützung für die Ukraine nach Bedarf anzupassen. Blinken wurde bei einer Pressekonferenz in Warschau gefragt, ob die Amerikaner der Ukraine mittlerweile grünes Licht gegeben hätten, Ziele im Inneren Russlands mit westlichen Waffen anzugreifen. Darauf antwortete er: «Ich kann Ihnen sagen, dass wir weiterhin genau das machen werden, was wir bisher getan haben: Wir werden nachjustieren, wir werden uns anpassen, wenn es nötig ist, auch im Hinblick auf die Mittel, die der Ukraine zur Verfügung stehen.»
Sein polnischer Amtskollege Radoslaw Sikorski forderte die westlichen Verbündeten dazu auf, «die Beschränkungen für den Einsatz von reichweitenstarken Waffen aufzuheben».
Selenskyj bestätigt russische Gegenoffensive in Kursk
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bestätigte unterdessen Berichte, wonach die russischen Truppen im Grenzgebiet Kursk mit Gegenangriffen begonnen haben. «Alles läuft nach unserem ukrainischen Plan», versicherte er dennoch auf einer Pressekonferenz mit dem litauischen Präsidenten Gitanas Nauseda in Kiew. Berichten aus Russland zufolge sind knapp ein Dutzend Orte in dem russischen Gebiet wieder zurückerobert worden. Gleichzeitig haben die ukrainischen Einheiten ihrerseits versucht, Bodengewinne zu erzielen.
Anfang August waren ukrainische Truppen auf russisches Gebiet vorgedrungen und haben innerhalb kürzester Zeit nach eigenen Angaben gut 1300 Quadratkilometer und etwa 100 Ortschaften, darunter die Kleinstadt Sudscha, unter ihre Kontrolle gebracht.
Nauseda stellte seinerseits den Ukrainern den Kauf von weiteren Flugabwehrsystemen kurzer Reichweite in Aussicht. Zehn Millionen Euro werde sein Land zudem in die Produktion der jüngst vorgestellten weitreichenden ukrainischen Drohne «Paljanyzja» stecken.
Russische Rakete beschädigt Weizenfrachter im Schwarzen Meer
Die ukrainische Marine meldete neue Details zu einem mutmasslichen russischen Luftangriff auf einen zivilen Frachter im Schwarzen Meer. Demnach habe ein Tu-22-Bomber wahrscheinlich eine Ch-22-Antischiffsrakete auf das Schiff abgefeuert. Das Frachtschiff unter der Flagge Karibikstaats St. Kitts und Nevis habe sich dabei bereits ausserhalb der ukrainischen Hoheitsgewässer befunden. Es sei vom südukrainischen Hafen Tschornomorsk mit einer Ladung Weizen auf dem Weg nach Ägypten gewesen.
Einem BBC-Bericht zufolge hat sich der Frachter dabei in der ausschliesslichen Wirtschaftszone Rumäniens befunden. Demnach sei auch keine Ch-22-Rakete, sondern eine zur Radarbekämpfung verwendete Ch-31-Rakete eingesetzt worden, die eine wesentlich geringere Sprengkraft hat als die zur Bekämpfung von Flugzeugträgern entwickelten Ch-22-Marschflugkörper.
Präsident Selenskyj hatte zuvor bereits Bilder von den Schäden auf dem Schiff veröffentlicht. Opfer habe es keine gegeben. Medienberichten zufolge zogen die internationalen Weizenpreise nach der Nachricht über den Angriff sofort an. Die Ukraine gehört zu den wichtigsten Weizenexporteuren der Welt. (AWP/mc/pg)