Radikale Kehrtwende am Rio de la Plata? Argentinien wählt Präsidenten
Buenos Aires – Inmitten einer schweren Wirtschaftskrise wählen die Argentinier einen neuen Präsidenten. Als Favorit der ersten Wahlrunde am Sonntag galt der libertäre Populist Javier Milei. Der selbst ernannte «Anarchokapitalist» will den US-Dollar als gesetzliches Zahlungsmittel einführen, die Zentralbank und viele Ministerien abschaffen und die Sozialausgaben radikal kürzen. Der Kandidat der Partei La Libertad Avanza (Die Freiheit schreitet voran) trat gegen den amtierenden Wirtschaftsminister Sergio Massa von der linken Unión por la Patria (Union für das Vaterland) und die frühere Innenministerin Patricia Bullrich vom konservativen Oppositionsbündnis Juntos por el Cambio (Gemeinsam für den Wandel) an.
Sollte Milei mit seinem marktliberalen Programm die Wahl gewinnen, wäre das eine echte Kehrtwende für Argentinien. Seit über 20 Jahren geben die linken Peronisten in dem südamerikanischen Land massgeblich den Ton an, der Staat greift massiv in die Wirtschaft ein, öffentliche Dienstleistungen werden stark subventioniert und in zahlreichen Provinzen sind mehr Arbeitnehmer im öffentlichen Sektor beschäftigt als in der Privatwirtschaft.
Kompromisse müsste auch Milei eingehen
Vor allem bei jungen Leuten kommt Milei gut an – und die dürfen in Argentinien schon ab 16 Jahren wählen. Trotz seiner radikalen Vorschläge müsste der Ökonom im Falle eines Wahlsiegs wohl Kompromisse eingehen. Im Kongress wird seine Partei über keine eigene Mehrheit verfügen, ausserdem fehlt dem politischen Aussenseiter qualifiziertes Personal, um wichtige Posten zu besetzen.
Die zweitgrösste Volkswirtschaft Südamerikas steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise: Die Inflationsrate liegt bei 138 Prozent, rund 40 Prozent der Menschen in dem einst reichen Land leben unter der Armutsgrenze. Argentinien leidet unter einem aufgeblähten Staatsapparat, geringer Produktivität der Industrie und einer grossen Schattenwirtschaft, die dem Staat viele Steuereinnahmen entzieht. Die Landeswährung Peso verliert gegenüber dem US-Dollar immer weiter an Wert, der Schuldenberg wächst ständig.
Um in der ersten Runde die Wahl direkt zu gewinnen, muss ein Kandidat mindestens 45 Prozent der Stimmen oder 40 Prozent der Stimmen und zehn Prozentpunkte Vorsprung auf den Zweitplatzierten erzielen. Sollte sich keiner der Kandidaten in der ersten Runde durchsetzen können, gehen die beiden stärksten Bewerber am 19. November in die Stichwahl. Der künftige Präsident tritt am 10. Dezember sein Amt an. (awp/mc/pg)