Rajoy verliert Parlamentsabstimmung – Spanien weiter ohne Regierung
Madrid – Spaniens geschäftsführender Ministerpräsident Mariano Rajoy hat am Mittwochabend eine Parlamentsabstimmung über seine Wiederwahl verloren. Die meisten Oppositionsparteien versagten dem 61-Jährigen wie bereits im Vorfeld angekündigt ihre Unterstützung und votierten gegen ihn. Der konservative Rajoy kam nur auf 170 Ja-Stimmen und verfehlte die im ersten Wahlgang nötige absolute Mehrheit von 176 Stimmen. Das Land muss damit auch nach mehr als acht Monaten weiter auf eine neue Regierung warten.
Sollte Rajoy bei einer zweiten Abstimmung am Freitag erneut keine Mehrheit hinter sich bringen, droht eine dritte Parlamentswahl – dem gesetzlichen Zeitplan zufolge ausgerechnet am ersten Weihnachstag. Spanien befindet sich seit der Parlamentswahl im vergangenen Dezember in einer politischen Pattsituation. Auch eine zweite Abstimmung im Juni konnte die Blockade nicht lösen. Bei der Neuwahl hatte sich Rajoys konservative Volkspartei (PP) zwar wieder als stärkste Kraft behauptet, die im Dezember verlorene absolute Mehrheit allerdings erneut deutlich verpasst.
Hitzige Parlamentsdebatte
Vor der Parlamentsabstimmung hatte sich Rajoy eine hitzige Debatte mit den Führern der Oppositionsparteien geliefert. Er warf Sozialisten-Chef Pedro Sánchez im Madrider «Congreso de los Diputados» vor, mit seiner Ablehnung der Wiederwahl den Wunsch der Mehrheit der Spanier zu missachten. Sánchez entgegnete, die Regierung Rajoy habe seit 2011 im EU-Land die Armut und die Ungleichheit gefördert. «Sie sind nicht fähig, das Land zu führen», sagte Sánchez. Der Chef der linken Protestpartei Podemos (Wir können), Pablo Iglesias (37), warf Rajoy vor: «Sie verkörpern die Korruption».
Unterstützung bekam Rajoy lediglich von der liberalen Partei Ciudadanos (Bürger), mit der er vor wenigen Tagen einen Regierungsbildungspakt unterzeichnet hatte, und von der Regionalpartei Coalición Canaria (Kanarische Koalition). Alle anderen votierten gegen ihn.
Politischer Stillstand
Die viertgrösste Wirtschaftsmacht der Eurozone liegt seit Monaten brach: In diesem Jahr wurde kein einziges neues Gesetz verabschiedet, Initiativen zum Abbau des wachsenden Schuldenberges gibt es nicht. Die EU-Kommission hatte dem Defizitland aber erst Ende Juli aufgetragen, bis zum 15. Oktober neue Pläne vorzulegen, wie es seinen Haushalt regeln will. Sollte für 2017 nicht bald ein Haushalt aufgestellt werden, drohen finanzielle Konsequenzen. Etatentwürfe darf eine geschäftsführende Regierung aber nicht präsentieren.
In der zweiten Abstimmungsrunde am Freitag reicht Rajoy nun eine einfache Mehrheit. Aber auch diese würde er verfehlen, wenn sich nicht einige Oppositionspolitiker dazu durchringen, sich zumindest der Stimme zu enthalten. Scheitert Rajoy, bleibt den Parteien für die Wahl eines Regierungschefs eine Frist von genau zwei Monaten. Wenn diese ergebnislos verstreicht, müsste König Felipe VI. gemäss Verfassung das Parlament auflösen und Neuwahlen ansetzen. (awp/mc/ps)