Kampf um Kiew – Tag drei der russischen Invasion in die Ukraine

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zeigt sich am Samstagmorgen in Kiew in einem Selfie-Video: "Ich bin hier. Wir werden keine Waffen niederlegen."

Kiew / Moskau – An Tag drei der russischen Invasion in die Ukraine haben sich beide Seiten Gefechte um die Hauptstadt Kiew und andere Städte geliefert. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj rief seine Landsleute in Videobotschaften am Samstag zur Abwehr russischer Angriffe auf. Nach UN-Angaben sind Hunderttausende in der Ukraine auf der Flucht, 50’000 sollen sich bereits ins Ausland gerettet haben. Auch Deutschland macht sich zur Aufnahme bereit. Zugleich wächst hier die Sorge über die Ausrüstung der Bundeswehr.

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte am Donnerstag den Angriff auf das Nachbarland begonnen. Bereits am Freitag drangen russische Truppen an den Rand der Hauptstadt Kiew vor, die auch aus der Luft beschossen wurde. In Kiew leben rund 2,8 Millionen Menschen.

Kämpfe gab es auch um Odessa, Mariupol und andere Städte im ganzen Land. Die Europäische Union und die USA wollen nicht militärisch in den Konflikt eingreifen. Sie verhängten aber scharfe Sanktionen, auch gegen Putin selbst.

Selenskyj: «Ich bin hier»
Selenskyj meldete sich in der Nacht zum Samstag und am Morgen immer wieder in Videobotschaften. Unter anderem forderte er die Aufnahme seines Landes in die EU – derzeit ein aussichtsloses Unterfangen. Vor allem wollte er zeigen, dass er die Ukraine nicht verlassen habe: «Ich bin hier.» Das Land müsse verteidigt werden. Putin hatte die ukrainische Armee aufgefordert, die Waffen niederzulegen. Das zeichnete sich nicht ab.

In der Nacht und am Morgen wurden Gefechte aus Kiew gemeldet, unter anderem um ein Heizkraftwerk und eine Kaserne der ukrainischen Streitkräfte. Bilder zeigten Treffer in einem Wohngebäude. Schliesslich warnten die ukrainischen Behörden: «Auf den Strassen unserer Stadt laufen jetzt Kampfhandlungen. Wir bitten darum, Ruhe zu bewahren und maximal vorsichtig zu sein!»

Klitschko: «Kiew in ukrainischer Hand»
Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko betonte, die Hauptstadt sei weiter in ukrainischer Hand. Mit Stand 5.00 Uhr MEZ gebe es 35 Verletzte, unter ihnen zwei Kinder.

Von beiden Kriegsparteien gab es militärische Erfolgsmeldungen. Das ukrainische Militär erklärte, man habe 3500 russische Soldaten getötet und 200 weitere gefangen genommen. Zudem seien 14 Flugzeuge, 8 Hubschrauber und 102 Panzer sowie mehr als 530 weitere Militärfahrzeuge zerstört worden.

Russland meldete seinerseits, es seien mehr als 800 ukrainische Militärobjekte «ausser Gefecht» gesetzt worden. 14 Militärflugplätze, 19 Kommandoposten, 24 Flugabwehr-Raketensysteme vom Typ S-300 und 48 Radarstationen seien zerstört, acht Marine-Boote der Ukraine getroffen worden. Russische Truppen hätten die Kontrolle über die südostukrainische Kleinstadt Melitopol.

Diese Angaben der Kriegsparteien können nicht von unabhängiger Seite überprüft werden. Gesicherte Informationen sind immer schwerer verfügbar. Viele westliche Journalisten haben Kiew verlassen.

Hunderttausende auf der Flucht
Insgesamt sind nach Einschätzung der Vereinten Nationen Hunderttausende Menschen im Land auf der Flucht vor Kämpfen. Tausende erreichten inzwischen EU-Länder wie Polen, die Slowakei, Rumänien und Ungarn. Ukrainische Bürger können ohne Visum in die EU einreisen.

Bundeskanzler Olaf Scholz und die Ministerpräsidenten der Länder sprachen am Freitagabend über die mögliche Aufnahme von Flüchtlingen, wie Nordrhein-Westfalens Regierungschef Hendrik Wüst (CDU) anschliessend deutlich machte. Brandenburg macht sich nach den Worten von Ministerpräsident Dietmar Woidke bereit für mindestens 10’000 Ukraine-Flüchtlinge in den nächsten Tagen. Schon dieses Wochenende hält Brandenburg nach offiziellen Angaben 800 Plätze bereit.

Diplomatische Lösung nicht in Sicht
Eine diplomatische Lösung für den Konflikt ist nicht in Sicht. Russland erklärte sich zwar bereit für Gespräche. Und ein Sprecher Selenskyjs schrieb auf Facebook, die Führung in Kiew sei darüber mit Moskau in Kontakt: «Unmittelbar in diesen Stunden führen die Seiten Konsultationen über Ort und Zeit eines Gesprächsprozesses.»

Der Ort solcher Gespräche ist jedoch umstritten. Auch hat Putin deutlich gemacht, dass er die ukrainische Führung um Selenskyj stürzen will. Der ukrainische Präsident sieht sich als Feind Nummer eins des russischen Angriffs. So bleibt offen, was Gespräche bringen sollen und wer sie führen würde.

Eine gegen den russischen Angriff gerichtete Resolution im UN-Sicherheitsrat scheiterte wie erwartet am Veto Moskaus. Westliche Diplomaten werteten die Abstimmung dennoch als Erfolg beim Versuch, Russland international zu isolieren. Denn China – sonst enger UN-Partner der Russen – enthielt sich genauso wie Indien und die Vereinigten Arabischen Emirate.

Neue EU-Sanktionen in Kraft
Um Druck auf Russland auszuüben, traten in der Nacht zum Samstag die neuen EU-Sanktionen in Kraft. Die Strafmassnahmen sollen Russland und seiner Wirtschaft erheblichen Schaden zufügen. Dafür werden zum Beispiel die Refinanzierungsmöglichkeiten des Staates und von ausgewählten privaten Banken und Unternehmen eingeschränkt. Zudem erlässt die EU Ausfuhrbeschränkungen für strategisch wichtige Güter.

Darüber hinaus setzen die EU, Grossbritannien und die USA Putin und den russischen Aussenminister Sergej Lawrow auf ihre Sanktionslisten. Damit könnten ausländische Konten oder Vermögen eingefroren werden. Der Grünen-Europapolitiker Sergey Lagodinsky rechnet mit einer weiteren Verschärfung der EU-Sanktionen, wie er im ZDF sagte. Der lettische Präsident Egils Levits erneuerte im selben Sender die Forderung, Russland auch vom Banken-Kommunikationsnetzwerk Swift auszuschliessen.

Die 30 Nato-Staaten hatten am Freitag ihre Entschlossenheit zur kollektiven Verteidigung der Alliierten bekräftigt. «Wir werden tun, was notwendig ist, um jeden Verbündeten und jedes Stück Nato-Gebiet zu beschützen und zu verteidigen», sagte Generalsekretär Stoltenberg.

Um Deutschland zu verteidigen und die Partner zu unterstützen ist jedoch aus Sicht des Bundesverbands viel mehr Geld für bessere Ausrüstung nötig. Verbandschef André Wüstner forderte im ZDF ein Sofortprogramm und sagte: «Wir haben im Bereich Munition, Fahrzeuge, Schiffe, Flugzeuge, Ersatzteile massive Probleme.» Ähnlich äusserte sich der neue CSU-Generalsekretär Stephan Mayer.

Rund um den Globus wird weiter aus Solidarität mit der Ukraine demonstriert. In Berlin ist für Sonntag eine Grosskundgebung geplant. Auch in Russland gibt es Anti-Kriegs-Proteste. Die russische Führung reagiert mit Hunderten Festnahmen. (awp/mc/ps)

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