London / Frankfurt – Schock für Hunderttausende Urlauber und Tausende Mitarbeiter: Der britische Reisekonzern Thomas Cook ist pleite und hat am Montag den Betrieb eingestellt. Reisende aus Grossbritannien sitzen im Ausland fest und sollen zurückgeholt werden. Die Hiobsbotschaft trifft auch Urlauber aus Deutschland, die nicht wie geplant am Montag in die Ferien starten konnten. Die deutsche Tochter mit den Marken Thomas Cook, Neckermann, Öger Tours, Air Marin und Bucher Reisen stoppte zudem den Verkauf von Reisen.
Die Thomas-Cook-Aktie wurde am Montag an der Londoner Börse vom Handel ausgesetzt. Aufwärts ging es hingegen für die Papiere des weltgrössten Reisekonzerns Tui aus Hannover. Deren Kurs legten in London um fast 7 Prozent zu. Für Tui lasse der Wettbewerb durch die Insolvenz des Rivalen nach, schrieb Analyst James Rowland Clark von der britischen Investmentbank Barclays.
Mit der deutschen Thomas Cook sind nach Unternehmensangaben derzeit 140’000 Gäste unterwegs. Am Montag und Dienstag sollten 21’000 Menschen in ihren Urlaub abreisen. Die deutsche Thomas Cook GmbH erklärte, man könne nicht gewährleisten, dass gebuchte Reisen mit Abreisedatum 23. und 24. September stattfinden.
Der zum Konzern gehörende Ferienflieger Condor darf betroffene Urlauber daher nicht mehr an ihr Ziel bringen. Reisende, die planmässig nach Hause fliegen wollten und über die deutsche Thomas Cook gebucht hatten, werden von der Airline befördert.
«Warum fliegen wir nicht?»
An Condor-Schaltern bildeten sich teilweise lange Schlangen. «Warum fliegen wir nicht?», sagte der Kölner Dieter Lenzen, der mit seiner Partnerin von Düsseldorf nach Fuerteventura wollte. «Wir wurden aus der Schlange gezogen. Wir fliegen nicht. Heute und morgen auf keinen Fall. Das war’s mit dem Urlaub.» Auch Urlauber, die nicht mit Condor fliegen, aber ein Thomas-Cook-Veranstalterticket haben, können betroffen sein.
Nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV) waren Passagiere an den grösseren Airports Frankfurt, Düsseldorf, Hannover, Hamburg, Leipzig, München und Stuttgart betroffen. An allen Standorten seien die Flughäfen in Gesprächen mit Reiseveranstaltern und Condor selbst, um die Auswirkungen so gering wie möglich zu halten.
Condor fliegt planmässig
Condor hielt den Flugbetrieb bis auf weiteres planmässig aufrecht. Die Fluggesellschaft beantragte von der Bundesregierung einen staatlich verbürgten Überbrückungskredit, um «Liquiditätsengpässe» zu verhindern. Dabei soll es sich um rund 200 Millionen Euro handeln, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Regierungskreisen erfuhr. Die Bundesregierung arbeitet nach Angaben des Wirtschaftsministeriums mit Hochdruck daran, den gewünschten Überbrückungskredit zu prüfen.
Die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit forderte, es müsse alles getan werden, um die Arbeitsplätze bei Condor zu sichern. «Die deutsche Tochter der Thomas Cook ist seit langem eine profitable Airline.»
Die deutsche Bundesregierung erklärte über Twitter, sie verfolge die Lage aufmerksam. Zugleich betonte sie, «Thomas Cook Deutschland und Condor operieren derzeit weiter und führen weiterhin Rückflüge durch.» Der Steuerzahlerbund lehnt staatliche Hilfen für Condor laut «Stuttgarter Zeitung», «Stuttgarter Nachrichten» und «Rheinischer Post» (Dienstag) ab.
Das Auswärtige Amt sagte möglicherweise im Ausland gestrandeten deutschen Urlaubern Unterstützung zu. Angesichts der unterschiedlichen Rechtslage in Deutschland gebe es aber keine «Aktion Matterhorn» wie in Grossbritannien. Die britische Regierung hatte betont, im Zuge dieser Aktion würden Touristen ungeachtet ihrer Nationalität ausgeflogen, falls sie eine Reise mit Ziel Grossbritannien gebucht hätten.
Folgen auch für deutsche Tochter-Gersellschaften?
Die deutsche Thomas Cook lotet nach eigenen Angaben derzeit letzte Optionen aus. «Sollten diese scheitern, sieht sich die Geschäftsführung gezwungen, für die Thomas Cook GmbH, Thomas Cook Touristik GmbH, die Bucher Reisen & Öger Tours GmbH und möglicherweise auch weitere Gesellschaften Insolvenzantrag zu stellen», teilte das Unternehmen in Oberursel bei Frankfurt mit. Das Unternehmen beschäftigt nach eigenen Angaben 2000 Menschen. Der Clubreise-Anbieter Aldiana, an dem Thomas Cook eine Minderheit hält, ist nach eigenen Angaben nicht von der Insolvenz betroffen.
Verbraucherschützer bezweifelten, dass alle Urlauber nach der Pleite des britischen Reisekonzerns komplett abgesichert sind. Ob die verpflichtende Versicherung von 110 Millionen Euro pro Jahr bei der Insolvenz eines Branchenschwergewichts ausreiche, sei nicht klar, teilte der Verbraucherzentrale Bundesverband mit. Bei allen deutschen Veranstaltermarken des Konzerns stehe für diesen Fall der Versicherer Zurich im Reisepreissicherungsschein, hiess es von Thomas Cook.
Condor-Chef Ralf Teckentrup versicherte, «dass wir alles in unserer Macht stehende tun und nichts unversucht lassen, damit unsere Flotte auch weiterhin wie gewohnt unsere Gäste zuverlässig an ihre Ferienziele in aller Welt und auch wieder zurück nach Hause bringt». Aktuell sind rund 240’000 Gäste im Ausland mit Condor unterwegs. Condor betreibt eine Flotte von 58 Flugzeugen.
Vergebliche Kapitalsuche
Noch bis Sonntagabend hatte der britische Konzern mit Investoren über eine zusätzliche Finanzierung in Höhe von 200 Millionen Pfund (226 Mio Euro) verhandelt. Thomas-Cook-Chef Peter Fankhauser bezeichnete das Scheitern der Bemühungen als «verheerend». Der chinesische Mehrheitseigner Fosun äusserte sich «enttäuscht» über den Insolvenzantrag des Reiseveranstalters.
Der britische Verkehrsminister Grant Shapps verteidigte die Entscheidung der Regierung, Europas zweitgrössten Reisekonzern nicht mit einer Finanzspritze zu retten. «Ich fürchte, das hätte sie nur für eine sehr kurze Zeit über Wasser gehalten», sagte Shapps der BBC. Das Unternehmen habe grundlegende Probleme in Zeiten, in denen immer mehr Menschen ihre Reisen online buchen. Über die genaue Höhe der von Thomas Cook erbetenen Finanzhilfe gab es am Montag unterschiedliche Angaben von 150 Millionen (knapp 170 Mio Euro) bis zu 250 Millionen Pfund.
«Aktion Matterhorn» der britischen Regierung
Allein aus Grossbritannien sind etwa 150’000 Urlauber im Ausland betroffen. Die britische Regierung wollte einem BBC-Bericht zufolge noch am Montag mindestens 14’000 Reisende in ihre Heimat zurückbringen. Die grösste britische Rückholaktion in Friedenszeiten hat den Namen «Aktion Matterhorn».
Thomas Cook war in den vergangenen Jahren immer wieder in Schieflage geraten. Bereits im Jahr 2012 retteten mehrere Banken den Konzern mit frischem Geld nach immensen Abschreibungen auf das britische Geschäft und IT-Systeme. Auch dadurch sitzt Thomas Cook auf einem Schuldenberg in Milliardenhöhe und ächzt unter der hohen Zinslast. Der jüngste Preiskampf im Reise- und Fluggeschäft kam erschwerend hinzu, ebenso anhaltende Unsicherheit rund um den Brexit, die die Urlaubsfreude der britischen Kundschaft dämpfte. Grossbritannien ist neben Deutschland der wichtigste Absatzmarkt für Thomas Cook.
Die Pleite hat auch Folgen für beliebte Urlaubsregionen. In Griechenland sind etwa 50’000 Thomas-Cook-Urlauber gestrandet. Die ersten 15 Flugzeuge für die Betroffenen seien organisiert, teilte das griechische Tourismusministerium mit. In den kommenden drei Tagen sollen demnach rund 22’000 Touristen zurückgeholt werden.
Sorgen bereiten den Hoteliers in Griechenland aber auch in Zypern vor allem die noch ausstehenden Zahlungen des Konzerns. «Es wird unvermeidlich zu Ausfällen kommen», sagte Tourismusminister Charis Theocharis dem griechischen Fernsehsender Skai. Zyprische Medien gehen davon aus, dass sich der Schaden für örtliche Hoteliers auf bis zu 50 Millionen Euro belaufen könnte.
Auf Zypern waren nach Angaben des stellvertretenden zyprischen Tourismusministers Savvas Perdios 15’000 Touristen betroffen. Auch Zehntausende Skandinavier traf die Pleite. Insgesamt befänden sich 34’460 Kunden an verschiedenen Reisezielen, teilte der Reiseanbieter Ving, eine Thomas-Cook-Tochter, mit. (awp/mc/ps)