Republikaner Scalise schmeisst hin – Dauerchaos im US-Parlament
Washington – Das Chaos im US-Parlament hält an: Der für den Vorsitz im Repräsentantenhaus nominierte Republikaner Steve Scalise hat seine Kandidatur aufgrund parteiinterner Widerstände zurückgezogen.
Die Kongresskammer bleibt damit vorerst weitgehend handlungsunfähig – und das inmitten internationaler Krisen wie des blutig eskalierten Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern und des anhaltenden Kriegs in der Ukraine. Der erzkonservative Abgeordnete Scalise scheiterte letztlich daran, sich ausreichenden Rückhalt in seiner eigenen Fraktion zu sichern.
Abweichler in den eigenen Reihen
Die Republikaner hatten den 58-Jährigen aus dem Bundesstaat Louisiana am Mittwoch zwar für den einflussreichen Posten an der Spitze des Repräsentantenhauses nominiert. Eine Mehrheit in der Kammer wäre ihm aufgrund mehrerer Abweichler in den eigenen Reihen aber höchstwahrscheinlich verwehrt geblieben. Schon kurz nach seiner Wahl zum Kandidaten hatten rund ein Dutzend Republikaner angekündigt, Scalise bei einer Abstimmung für den Vorsitz ihre Stimme zu verweigern. Im Laufe interner Verhandlungen hinter verschlossenen Türen wurden es mehr. Und so trat Scalise am Donnerstagabend (Ortszeit) vor die Presse, um seinen Rückzug zu verkünden.
«Es gibt immer noch einige Leute, die ihre eigene Agenda haben», sagte Scalise. Er mahnte: «Dieses Repräsentantenhaus braucht einen Vorsitzenden.» Der Vorsitzende der Parlamentskammer kommt in der staatlichen Rangfolge an dritter Stelle nach dem Präsidenten und dessen Vize. Da zurzeit die Demokraten den Präsidenten stellen, ist das Amt in den Händen der Opposition ein besonders bedeutsames.
Historisch fragile Lage im US-Parlament
Der vorherige Vorsitzende Kevin McCarthy war vergangene Woche in einer historischen Abstimmung als Vorsitzender des Repräsentantenhauses abgewählt worden. Republikaner vom radikal rechten Flügel der Partei hatten ihn aus dem Amt getrieben. Es war das erste Mal in der US-Geschichte, dass ein Vorsitzender des Repräsentantenhauses auf diesem Weg seinen Job verliert. Das Polit-Drama brachte das US-Parlament weitestgehend zum Stillstand.
Scalise führt derzeit die Fraktion der Republikaner in der Kammer an und war nach einwöchiger Beratung von seiner Fraktion zum Kandidaten gekürt worden. Er gewann aber nur ganz knapp gegen seinen Parteirivalen Jim Jordan, der als Gefolgsmann des früheren US-Präsidenten Donald Trump gilt. Dieser wiederum gilt als aussichtsreichster Aspirant auf die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner für die Wahl im November 2024 – und sähe gerne einen Vertrauten im Amt des Vorsitzenden.
Die Republikaner haben in der Parlamentskammer nur eine dünne Mehrheit, deshalb haben republikanische Abweichler bei Abstimmungen ein machtvolles Druckmittel in ihren Händen – auch wenn es nur wenige sind. Scalise hätte sich nur vier Abweichler in seiner Fraktion leisten dürfen. Denn auf Stimmen der Demokraten von US-Präsident Joe Biden hätte er nicht zählen können.
Zersplitterte Fraktion
Das politische Schauspiel legt die tiefe Spaltung der republikanischen Fraktion im Repräsentantenhaus offen. Dort haben mittlerweile radikale und ultrarechte Kräfte so viel Macht bekommen, dass sie faktisch den Ton angeben können. Das liegt nicht nur an der knappen Mehrheit, die wenigen einen grossen Einfluss ermöglicht. Es ist auch Folge dessen, dass die Fraktionsführung die Parteikollegen vom ganz rechten Rand in den vergangenen Jahren gewähren liess, da sie oftmals Schützlinge der immer noch populären Parteigrösse Trump sind.
«Ich bereue gar nichts», sagte der Abgeordnete Matt Gaetz dem Sender CNN, nachdem Scalise seine Kandidatur zurückgezogen hatte. Der Hardliner aus Florida war es, der McCarthys Sturz eingeleitet hatte. «Die Leute sagen, dass hier Chaos herrscht», so Gaetz. Er sehe das anders.
Nun wird noch deutlicher, was sich schon in den vergangen Monaten beim Streit um die Schuldenobergrenze oder den Haushalt zeigte: Den Radikalen geht es nicht um tragbare Lösungen und Konsens – sie wollen das politische System vielmehr an seine Grenzen bringen, mit allen Regeln und Konventionen brechen und radikale Forderungen durchsetzen.
Kandidat der Mitte
Deshalb ist auch völlig offen, ob sich die Fraktion nun schnell auf einen neuen Kandidaten einigen kann, hinter dem sie dann auch bei einer Wahl geschlossen stünde. Viele Republikaner präferieren den Trump-Anhänger Jordan. Möglich wäre aber auch ein Kompromisskandidat, an dem sich weniger Abgeordnete in der Fraktion reiben dürften. Diverse Namen kursieren. Eine Möglichkeit wäre der derzeitige Interimssprecher Patrick McHenry.
Immer wieder fiel auch der Name Trump. Der einstige Präsident scheint zumindest in der Fraktion der Republikaner nicht allzu viel zu melden zu haben – mitmischen tut er aber dennoch. Sein favorisierter Kandidat Jordan fiel in der ersten internen Abstimmung durch.
Dass Trump auf die Gefolgschaft seiner Anhänger nicht bedingungslos setzen kann, zeigte sich bereits im Januar. Damals unterstützte Trump McCarthy – der wurde dennoch erst im 15. Wahlgang gewählt, weil ihm die Radikalen lange die Gefolgschaft verwehrt hatten.
Eine andere Option wäre ein Kandidat der Mitte, auf den sich gemässigtere Republikaner mit kooperationsbereiten Demokraten einigen könnten. Der demokratische Minderheitsführer Hakeem Jeffries brachte Medienberichten zufolge bereits eine solche Lösung ins Spiel. Doch dafür braucht es im Moment noch viel Fantasie. Und es wäre für die Republikaner eine Schmach, wenn sie trotz Mehrheit im Repräsentantenhaus nicht in der Lage wären, einen eigenen Kandidaten zu finden.
Weltlage bereitet Sorgen
Doch es gibt drängende Probleme – in den USA und weit über deren Landesgrenzen hinaus. Der Übergangshaushalt, der McCarthy schliesslich das Amt gekostet hat, läuft Mitte November aus. Eigentlich müsste bereits jetzt über einen neuen Bundeshaushalt verhandelt werden. Ausserdem warnt die US-Regierung, dass die bisher genehmigten Ukraine-Hilfen zur Neige gehen. Der Kongress muss also neue Mittel genehmigen. Und Biden will das Parlament auch um weitere Unterstützung für den traditionell engen Verbündeten Israel bitten. Zurzeit ist selbst das nicht möglich. (awp/mc/pg)