Reyl Marktanalyse: Was ist aus den BRIC geworden?
François Savary, Chief Strategist, Reyl & Cie (Bild: RTS.ch)
Zürich – Das berühmte Akronym BRIC verdanken wir dem Ökonomen J. O’Neill, der damit Anfang des Jahrtausends vier Zukunftsmärkte bezeichnete: Brasilien, Russland, Indien und China. Kritiker hielten das Konzept anfänglich für ein einfaches Marketing-Tool, das jeglicher konkreter Grundlage entbehrt. Wie steht es heute um die vier aufstrebenden Märkte?
Von François Savary, Chief Strategist, Reyl & Cie
Können sie immer noch in einer Gruppe zusammengefasst werden? Die Bezeichnung BRIC sollte sie schliesslich von den übrigen Schwellenländern abheben und unterstreichen, dass ihnen aufgrund ihres wirtschaftlichen Gewichts eines Tages die Welt gehören würde. Heute sieht es aber eher so aus, als ob sich die Länder unterschiedlich entwickelt hätten und letztendlich doch kein gemeinsames Schicksal teilen würden.
Russland mit Machtgelüsten ,aber wirtschaftlich geschwächt
Wladimir Putins Russland profiliert sich heute wieder als Militärmacht und leidet unter dem Verfall der Rohstoffkurse, vor allem der Energiepreise. Auch die westlichen Sanktionen haben ihre Spuren hinterlassen und die russische Wirtschaft weiter geschwächt. Schliesslich war Russland in den letzten 15 Jahren nicht fähig, seine marode Industrie neu zu beleben und steht heute am Rand einer Rezession. Der Staat könnte schon bald nicht mehr in die internationalen Handels- und Finanzflüsse eingebunden sein.
Brasilien erschüttert von Korruptionsskandalen, mit Sanierungsbedarf
In Brasilien ist eine allgemeine Verschlechterung der Wirtschaftslage zu beobachten. Auf kurze Sicht droht dem Land sicher eine Rezession, ausserdem hat es die Kontrolle über die Inflation verloren. Die defizitären Staatsfinanzen und die Handelsbilanz verschlechtern sich zunehmend. Vor diesem Hintergrund ist es fraglich, ob die grösste Volkswirtschaft Südamerikas die nötigen Strukturreformen durchführen kann. Das neue Wirtschaftswunder, das vom ehemaligen Präsidenten Lula da Silva bewerkstelligt wurde, gehört wohl endgültig der Vergangenheit an. Heute wird das Land von einem Korruptionsskandal nach dem anderen erschüttert, was den Verdruss der Bevölkerung weiter steigert. Wenn die Regierung eine neue Zukunft aufbauen will, muss sie die Wirtschaft wieder auf den Wachstumspfad lenken. Nun steht Finanzminister Joachim Levy vor der schwierigen Aufgabe, die Staatsfinanzen zu sanieren, obwohl doch die meisten Institutionen der Korruption verdächtigt werden. Das könnte angesichts der tiefen Vertrauenskrise einige Zeit dauern. Die aufgebrachte Bevölkerung gibt derweil ihrem Unmut auf der Strasse Ausdruck.
China mit beeindruckender Entwicklung
China dient als Vorzeigebeispiel unter den BRIC-Ländern. Es zählt heute zu den führenden Wirtschaftsmächten, ist als internationale Einflussgrösse anerkannt und geniesst politisches und militärisches Prestige. Die Teilnahme der EU-Länder an der künftigen asiatischen Bank, die von Peking angestossen wurde, zeigt, welchen beachtlichen Weg das Reich der Mitte als Rivale der USA auf finanzieller Ebene zurückgelegt hat. Das chinesische Wirtschaftswachstum verlangsamt sich zwar deutlich, das Finanzsystem ist weniger solide als angenommen und der Übergang von einer exportorientierten Wirtschaft zu einer konsumgetriebenen Ökonomie ist kompliziert. Nichtsdestotrotz ist das Ergebnis beeindruckend und entspricht den Erwartungen, die man vor 15 Jahren in die BRIC-Länder setzte.
Indien mit realistischen Möglichkeiten zur Strukturreform
Nun bleibt noch Indien, das angesichts seiner Institutionen grösste demokratische Land der Welt. Die politische Kehrtwende 2014 nach der Wahlniederlage der Kongresspartei hat erneut bewiesen, dass Indien eine wahre Demokratie ist. Die Konjunktur mag nicht ganz so robust sein wie im benachbarten China, aber die Ergebnisse können sich sehen lassen. Den kürzlich veröffentlichten Korrekturen der Wirtschaftsstatistiken zufolge ist das Bruttoinlandprodukt in den letzten Jahren sogar schneller gestiegen als anfänglich angenommen. Zudem wird das Land derzeit von einer reformwilligen Partei regiert. Aufgrund der verbesserten Fundamentaldaten (rückläufige Inflation, niedrigeres Handelsbilanzdefizit) und der sinkenden Rohstoffpreise kann sich Indien jetzt auch leisten, die nötigen Strukturreformen durchzuführen.
BRIC keine einheitliche Gruppe
Dieser kurze Überblick über die Wirtschaftslage der einzelnen BRIC-Länder bestätigt, dass das Konzept nicht mehr der Wirklichkeit entspricht. Die aufstrebenden Nationen haben sich in den letzten 15 Jahren wirtschaftlich sehr unterschiedlich entwickelt. Zwei der potenziellen Weltmächte von morgen, China und Indien, sind auf dem richtigen Weg, während Russland und Brasilien offensichtlich den Anschluss verpasst haben.
Die Entwicklung der Börsenindizes in US-Dollar in diesem Zeitraum bestätigt diese Feststellung. Der indische Sensex hat seit dem Jahr 2000 mehr als 300 % zugelegt, während der brasilianische Bovespa „nur“ mit 90 % aufwarten kann. Dem Plus von 120 % des MSCI Russland Index steht ein Anstieg des chinesischen Marktes um 220 % gegenüber.
Die BRIC bilden heute also eindeutig keine einheitliche Gruppe mehr. Könnte sich diese Differenz auf kurze Sicht noch vertiefen? Angesichts der Strukturprobleme in Russland und Brasilien ist diese Frage zu bejahen, zumal Indien und China alles daran setzen, um die Wirtschaftsmächte des 21. Jahrhunderts zu werden. Wenn das Konzept der BRIC in fünf Jahren wieder Sinn haben soll, dann müssen Russland und Brasilien tief greifende Reformen durchführen.
Schwellenländer anfällig auf Zinsentwicklungen
Nach der Performance der Börsen in den beiden Ländern zu urteilen, die in den letzten sechs Monaten unterdurchschnittlich war, scheinen die Anleger den Glauben daran verloren zu haben. Könnten sie sich täuschen? Nein, denn in einem internationalen Umfeld, in dem der US-Dollar immer noch auf Höhenflug ist und in den USA die erste Zinsanhebung seit 2006 vor der Tür steht, sind die Schwellenländer anfällig. Dies betrifft vor allem jene Länder, die Rohstoffe exportieren, Handelsbilanzdefizite aufweisen und von Refinanzierungen in US-Dollar abhängig sind. Indien und China gehören nicht zu dieser Gruppe. Deshalb sind diese Märkte aus heutiger Sicht zweifelsohne in der Lage, besser als die brasilianischen und russischen Märkte abzuschneiden. (Reyl/mc/hfu)