Hannelore Kraft, alte und neue Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen.
Düsseldorf – Triumph für Rot-Grün, historisches Fiasko für die CDU – und ein herbes Warnsignal für die Kanzlerin: Bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen haben sich Sozialdemokraten und Grüne die bisher fehlende Mehrheit eindeutig gesichert. SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft kann nach Hochrechnungen nun auf stabiler Basis weiterregieren. Die CDU von Norbert Röttgen stürzt dagegen auf ihr Rekordtief an Rhein und Ruhr, der Spitzenkandidat tritt als Landesvorsitzender zurück. Die im Bund schwer angeschlagene FDP kehrt noch deutlicher als vor einer Woche in Schleswig-Holstein in die Erfolgsspur zurück. Die Piraten ziehen zum vierten Mal in Folge in ein Landesparlament ein, die Linke ist raus.
Die Abstimmung im bevölkerungsreichsten Bundesland mit 13,2 Millionen Wahlberechtigten ist dieses Jahr das wichtigste Signal vor der Bundestagswahl im Herbst 2013. Der Aufwind für die rot-grüne Opposition bei der «kleinen Bundestagswahl» dürfte es Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihrer schwarz-gelben Koalition noch schwerer machen – auch wenn sich im Bundesrat praktisch nichts ändert. Kraft sagte am Sonntag schon bei ihrer Stimmabgabe: «Wenn es für uns gut ausgeht, für Rot-Grün, dann wäre das ein wichtiges Signal auch in Richtung Bundestagswahl.» In Schleswig-Holstein hatte es für SPD und Grünen zusammen noch nicht ganz gereicht, dort läuft es auf ein Dreierbündnis mit dem Südschleswigschen Wählerverband SSW hinaus.
Erfolgserlebnis für FDP
Nach den ersten Hochrechnungen von ARD und ZDF vom Sonntagabend (18.15) nähert sich die SPD in NRW mit 38,2 bis 38,8 Prozent wieder der 40-Prozent-Marke. Die CDU fällt mit 25,7 bis 25,8 Prozent noch einmal deutlich unter ihr damals schon schwächstes Landesergebnis von 2010. Die Grünen von Vize-Regierungschefin Sylvia Löhrmann schneiden mit 12,1 bis 12,2 Prozent ähnlich ab wie beim letzten Mal. Der FDP gelingt ein ähnlicher Coup wie eine Woche zuvor in Kiel: Die vor kurzem noch abgeschriebene Partei erringt mit 8,5 bis 8,6 Prozent ihr zweites Erfolgserlebnis seit mehr als einem Jahr. Ähnlich geht es der noch jungen Piratenpartei, die mit 7,6 bis 7,8 Prozent locker in den Landtag einzieht. Die Linke dagegen setzt ihren Abwärtstrend fort und fliegt mit 2,6 bis 2,9 Prozent nach nur zwei Jahren schon wieder aus dem Parlament.
Deutliche Mehrheit für Rot-Grün
Daraus ergibt sich nach der ZDF-Hochrechnung folgende Mandatsverteilung (noch ohne Überhangmandate): SPD 75, CDU 50, Grüne 24, FDP 17 und Piraten 15 Sitze. Rot-Grün hätte damit eine Mehrheit von 99 Mandaten gegen die 82 Sitze der Opposition. Die Wahlbeteiligung liegt wohl in der Nähe des niedrigen Werts von 2010 (59,3 Prozent). Nach der Wahl 2010 hatte Rot-Grün eine Stimme zur Mehrheit von 91 Mandaten gefehlt – Kraft bildete daraufhin im einstigen SPD-Stammland eine Minderheitsregierung. Im März scheiterte aber ihr Etat 2012 im Parlament. Darauf löste sich der Landtag erstmals in der Geschichte Nordrhein-Westfalens auf, weshalb schon jetzt gewählt werden musste.
Der Wahlkampf war stark fokussiert auf die Spitzenkandidaten Kraft und Röttgen. Während die SPD-Frau sich als engagierte Landesmutter präsentierte, versuchte der Kopfmensch Röttgen mit Themen wie Verschuldung und Schulpolitik zu punkten.
Röttgen tritt als Landesvorsitzender zurück
Doch wie schon unter Jürgen Rüttgers 2010 lief der CDU der Wahlkampf aus dem Ruder. Wenige Minuten nach Schliessung der Wahllokale sagte Röttgen, dies sei «zu allererst meine persönliche Niederlage». Er trete als Landesvorsitzender zurück. Röttgen hatte im Wahlkampf bis zuletzt offen gelassen, ob er auch bei einer Niederlage nach Düsseldorf kommt und Oppositionsführer wird. Zudem hatte er die NRW-Wahl zur Abstimmung über die Europapolitik von Kanzlerin Merkel erklärt – und sich dann revidiert. Röttgens Popularitätswerte lagen klar unter denen Krafts (ZDF: 29 zu 59 Prozent). Ihr Erfolg könnte in der SPD die Diskussion über die Kanzlerkandidatur nun neu entfachen – auch wenn Kraft stets betont, ihr Platz sei in NRW.
Verschnaufpause für Rösler
Die kriselnde FDP hat den Erfolg vor allem ihrem erst 33-jährigen Spitzenkandidaten Christian Lindner zu verdanken. Er riss das Ruder in einem ganz auf ihn zugeschnittenen Ein-Mann-Wahlkampf herum und machte Röttgen klassische CDU-Themen wie den Erhalt des Gymnasiums streitig. Sein Erfolg verschafft dem angeschlagenen Bundesparteichef Philipp Rösler eine Verschnaufpause. Allerdings zählt Lindner – der im Dezember als Generalsekretär hingeworfen hatte – ebenso wie der Kieler Wahlsieger Wolfgang Kubicki zu Röslers Kontrahenten. Lindner wird zudem seit längerem als Anwärter auf den Vorsitz gehandelt. Der erneute Misserfolg der Linken dürfte den seit längerem anhaltenden Machtkampf in der Partei noch verschärfen. Im Juni steht die Wahl der Parteispitze an – unklar ist, ob der frühere Linken-Chef Oskar Lafontaine als Retter in der Not antritt.
Um die mindestens 181 Sitze im Düsseldorfer Landtag hatten sich 1085 Kandidaten beworben. 17 Parteien traten mit Landeslisten an. Bei der Wahl 2010 war die CDU trotz schwerer Verluste mit 34,6 Prozent knapp stärkste Partei geworden, gefolgt von der SPD mit 34,5 Prozent. Die Grünen kamen auf 12,1 Prozent, die FDP erhielt 6,7 Prozent. Die Linke schaffte mit 5,6 Prozent erstmals den Sprung in den NRW-Landtag. Die Piraten dümpelten damals noch bei 1,6 Prozent. (awp/mc/ps)