Rot-Schwarz in Berlin abgewählt – Verluste für SPD und CDU
Berlin – Nach deutlichen Verlusten für CDU und SPD ist die rot-schwarze Koalition in Berlin am Ende. Bei der Abgeordnetenhauswahl blieben die Sozialdemokraten zwar den Hochrechnungen zufolge stärkste Partei. Allerdings muss sich der Regierende Bürgermeister Michael Müller neue Partner suchen. Die CDU verteidigte Platz zwei, sackte aber auf ihr schlechteste Ergebnis in der Berliner Nachkriegsgeschichte ab. Die Grünen landeten knapp vor der Linken, die als einzige grössere Partei zulegen konnte. Ein Jahr vor der Bundestagswahl setzte die AfD ihren Höhenflug fort und kam auf ein zweistelliges Ergebnis. Die FDP kehrt nach dem Aus 2011 ins Parlament zurück. Erwartungsgemäss flogen die Piraten raus.
Zwei Wochen nach der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern, wo die CDU erstmals hinter der AfD blieb, mussten die Christdemokraten erneut eine schwere Schlappe hinnehmen. Bei allen Landtagswahlen in diesem Jahr verlor die Partei von Kanzlerin Angela Merkel Stimmen. Wie zuvor in anderen Bundesländern dürfte die AfD auch in Berlin vom Unmut vieler Bürger über Merkels Flüchtlingspolitik profitiert haben. Die Rechtspopulisten sind nun in 10 von 16 Landesparlamenten vertreten.
Regierungschef Müller liess in einer ersten Reaktion offen, welche Koalition er bevorzugt – vor der Wahl hatte er ein Bündnis mit Grünen und Linken in den Blick genommen. «Wir haben unser Ziel erreicht: Wir sind stärkste politische Kraft in dieser Stadt geblieben und wir haben einen Regierungsauftrag», sagte er. Den Hochrechnungen zufolge sind Bündnisse zweier Parteien in der Hauptstadt nicht mehr machbar. Rechnerisch möglich sind verschiedene Dreierbündnisse.
SPD-Chef Sigmar Gabriel betonte: «Berlin bleibt sozial und menschlich anständig.» CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel sprach von einem Denkzettel. Seine Partei stehe für Sondierungsgespräche zur Regierungsbildung bereit.
«Wir können das»
Grünen-Chef Cem Özdemir sieht einen Regierungsauftrag für seine Partei. «Die Leute wollen eine seriöse Regierung, wir können das.» Linken-Vorsitzende Katja Kipping wertete das Abschneiden ihrer Partei als grossartiges Signal. «Das macht Mut für linke Mehrheiten.» Für FDP-Generalsekretärin Nicola Beer hat eine Regierungsbeteiligung der Liberalen in Berlin im Moment keine Priorität.
Nach den Hochrechnungen von ARD und ZDF (Stand 19.00 Uhr) erreichte die SPD 22,9 bis 23,2 Prozent – dies wäre das schlechteste Ergebnis eines Siegers bei Landtagswahlen. Die CDU kam auf 17,9 bis 18,0 Prozent. Beide Parteien verbuchten demnach Verluste von jeweils rund 5 Prozentpunkten. Die Grünen lagen mit 16,4 bis 16,7 Prozent knapp unter ihrem Rekordergebnis von 2011. Die Linken legten um etwa 4 bis 5 Punkte auf 15,9 bis 16,2 Prozent zu. Die AFD verbuchte 11,8 bis 12,2 Prozent. Die FDP, die fünf Jahre nicht im Abgeordnetenhaus vertreten war, lag bei 6,4 bis 6,5 Prozent und schaffte den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde. Die Piraten stürzten ab.
Die Sitzverteilung im neuen Parlament sähe so aus: SPD 37 Sitze, CDU 29, Grüne 27, Linke 26, AfD 19 bis 20, FDP 10 bis 11 Sitze. Es zeichnete sich eine höhere Wahlbeteiligung als 2011 (60,2 Prozent) ab, nach ZDF-Hochrechnung gingen am Sonntag 67,3 Prozent der Berechtigten wählen.
Müller, dessen Partei seit 15 Jahren den Regierungschef im Roten Rathaus stellt, könnte die bundesweit erste rot-grün-rote Koalition unter Führung der Sozialdemokraten schmieden. In Thüringen regiert ein Bündnis dieser drei Parteien mit einem Linken-Ministerpräsidenten. Eine Koalition mit der CDU hatte Müller im Wahlkampf abgelehnt, die Grünen ebenso. Mit der AFD will keine der anderen Parteien zusammenarbeiten.
Die Grünen, die in der Multi-Kulti-Hauptstadt traditionell fest verankert sind, verfehlten ihr Rekordergebnis 2011 dieses Mal nur knapp. Sie könnten erstmals seit 2002 wieder in die Regierung kommen und hatten sich ebenso wie die Linken offen für eine Dreier-Koalition mit der SPD gezeigt.
Die Linkspartei konnte anders als in Mecklenburg-Vorpommern ihr Ergebnis steigern. Dort musste sie starke Einbussen hinnehmen. In Berlin hatte die Partei bereits von 2002 bis 2011 als Juniorpartner mit der SPD zusammen regiert.
Noch drei Stimmungstests bis Bundestagswahl
Bis zur Bundestagswahl im September 2017 gibt es mit den Wahlen im Saarland (26. März), in Schleswig-Holstein (7. Mai) und in Nordrhein-Westfalen (14. Mai) drei weitere politische Stimmungstests.
Die SPD hatte sich im Berliner Wahlkampf ähnlich wie die Grünen für eine weltoffene Metropole eingesetzt, in der auch die Flüchtlinge ihren Platz haben. Die CDU legte ihren Schwerpunkt auf innere Sicherheit. Für Müller (51) war es die erste Abgeordnetenhauswahl. Er hatte nach dem Rücktritt von Klaus Wowereit das Amt des Regierungschefs im Dezember 2014 übernommen.
Parallel wurden die Kommunalparlamente in den zwölf Bezirken gewählt, die Bezirksverordnetenversammlungen (BVV). Es wird damit gerechnet, dass die AfD Stadtratsposten – und damit Verwaltungsmacht – bekommt.
Bei der Wahl 2011 in Berlin war die SPD mit 28,3 Prozent stärkste Partei geworden. Dahinter folgten CDU (23,3 Prozent), Grüne (17,6 Prozent), Linke (11,7 Prozent) und die Piraten (8,9 Prozent), die damals erstmals in ein Landesparlament einzogen. Die Sitzverteilung sah so aus: SPD 47, CDU 39, Grüne 29, Linke 19, Piraten 15. (awp/mc/ps)