Almaty – Die Entsendung ausländischer Soldaten nach Kasachstan durch ein von Russland geführtes Militärbündnis schürt Befürchtungen vor einer weiteren Eskalation der Lage in der früheren Sowjetrepublik. Zwar hiess es, die Soldaten der Allianz sollten für einen begrenzten Zeitraum entsandt werden, «um die Lage in dem Land zu stabilisieren und zu normalisieren». Allerdings hatte die kasachische Staatsführung diese Hilfe erbeten, nachdem ihre eigenen Truppen mit Waffengewalt gegen regierungskritische Demonstranten vorgegangen waren. Die USA und die EU riefen alle Seiten zur Mässigung auf und forderten eine friedliche Beilegung des Konflikts.
Auslöser der grössten Protestwelle seit Jahren war Unmut über deutlich gestiegene Treibstoffpreise an den Tankstellen des Landes, zumal Kasachstan schon seit Jahren unter Misswirtschaft und Armut leidet. Als Reaktion auf die teils gewaltsamen Proteste entliess Präsident Kassym-Jomart Tokajew die Regierung, bevor in der Nacht zu Donnerstag das Militär in der Millionenstadt Almaty einschritt. «Terroristische Banden» hätten sich dort einen Kampf mit Fallschirmjägern geliefert, sagte Tokajew in einer Fernsehansprache. Er machte «in- und ausländische Provokateure» für das Chaos verantwortlich.
Tokajew rief das von Russland geführte Militärbündnis Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) zu Hilfe, das prompt die Entsendung von Soldaten ankündigte – sogenannten Friedenstruppen. Dem Bündnis gehören neben Russland und Kasachstan auch Armenien, Belarus, Kirgistan und Tadschikistan an. Der für Angelegenheiten ehemaliger Sowjetrepubliken zuständige Ausschussvorsitzende der russischen Staatsduma, Leonid Kalaschnikow, sagte der russischen Nachrichtenagentur Interfax, Russland sei zur Hilfe verpflichtet, dafür sei das Bündnis gegründet worden.
«Untergrabung der Integrität des Staates»
Bei den am Wochenende ausgebrochenen Unruhen handele es sich «nicht um eine Bedrohung, sondern um eine Untergrabung der Integrität des Staates», begründete Tokajew die Entscheidung. Bei den beispiellosen Protesten wurden laut Behördenangaben mehrere Polizisten und Soldaten getötet. Allerdings fehlt es mangels freier Medien an unabhängiger Berichterstattung vor Ort – und Videos in sozialen Netzwerken deuten darauf hin, dass es auch etliche zivile Opfer gegeben haben dürfte, über die sich die autoritäre Führung des Landes weitgehend ausschweigt. Unklar blieb auch, wie viele Demonstranten festgenommen wurden.
Der kasachische Fernsehsender Khabar 24 meldete am Morgen, die Sicherheitskräfte würden weiter gegen Demonstranten vorgehen. «Die Anti-Terror-Operation zur Herstellung der öffentlichen Ordnung wird in Almaty fortgesetzt», hiess es dort. Die russische Staatsagentur Ria Nowosti meldete, Militärfahrzeuge hätten Leichen in der Stadt eingesammelt. Banken hätten zudem vorerst ihre Arbeit eingestellt.
Zuvor hatten kasachische Medien berichtet, der von einer protestierenden Menschenmenge besetzte und schwer beschädigte Flughafen der Stadt sei «befreit» worden, nachdem mehrere Airlines Flüge nach Almaty gestrichen hatten. Am Weltraumbahnhof Baikonur wurden laut der russischen Weltraumbehörde Roskosmos die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt.
Internets in Kasachstan wiederholt blockiert
Erschwert wird die Informationslage durch wiederholte Blockaden des Internets in Kasachstan. Bereits am Mittwoch wurde das Netz über Stunden abgeschaltet – vermutlich, um neue Versammlungen zu erschweren. Mehrere Fernsehsender stellten den Betrieb ein. In der Nacht zu Donnerstag waren dann erneut Webseiten von Behörden, Polizei und Flughäfen nicht zu erreichen, wie die russische Staatsagentur Tass berichtete. Auch aus Deutschland waren Internetseiten wie die der staatlichen Nachrichtenagentur Kazinform und anderer Medien nicht abrufbar.
In Almaty herrschte laut Tass ein kompletter Internetausfall, soziale Netzwerke als zentrales Koordinierungsinstrument von Demonstranten waren damit lahmgelegt. Auch das Mobilfunknetz in der Wirtschaftsmetropole war demnach tot.
Mehrere Länder, darunter die USA und die EU, riefen zu einer friedlichen Lösung auf. «Wir bitten alle Kasachen, die verfassungsmässigen Institutionen, die Menschenrechte und die Pressefreiheit inklusive einer Wiederherstellung des Internetzugangs zu respektieren und zu verteidigen», erklärte der Sprecher des US-Aussenministeriums, Ned Price. Auch der Auswärtige Dienst der EU äusserte sich besorgt über die schweren Unruhen in Kasachstan und rief die Staatsführung zur Einhaltung internationaler Verpflichtungen und des Grundrechts auf friedlichen Protest auf.
Das zentralasiatische Land mit mehr als 18 Millionen Einwohnern wurde über Jahrzehnte von Machthaber Nursultan Nasarbajew regiert und grenzt unter anderem an Russland und China. Es ist reich an Öl, Gas und Uran. In der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen liegt Kasachstan auf Platz 155 von 180 Ländern. (awp/mc/ps)