Russische Offensiven bei Kiew
Kiew – In Russlands Krieg gegen die Ukraine gerät die Hauptstadt Kiew wieder stärker ins Visier. Auch aus dem Westen des Landes unweit der Grenze zu Polen werden weitere Luftangriffe gemeldet. Bei den Sorgen um die Atomruine Tschernobyl sowie einen Forschungsreaktor in der Ostukraine gibt es unterdessen vorerst etwas Entwarnung.
Ukraine: Russische Offensiven nahe Kiew «teils» erfolgreich
Rund um Kiew gebe es russische Offensiven an der nördlichen Stadtgrenze bei Sasymja und in südlicher Richtung bei Wyschenky, teilte der ukrainische Generalstab in der Nacht zu Samstag mit. Diese Offensiven seien in einigen Bereichen teils erfolgreich. In der Hauptstadt Kiew wurde in der Nacht zu Samstag mindestens drei Mal Flugalarm ausgelöst. Laut CNN war in der Stadt aus der Ferne am Samstagmorgen «minutenlanger» Beschuss zu hören.
Neue Luftangriffe auch im Westen der Ukraine
Strategische Bomber der russischen Luftwaffe sollen Marschflugkörper in den Städten Luzk, Iwano-Frankiwsk und Dnipro eingesetzt haben. Luzk und Iwano-Frankiwsk befinden sich nördlich und südlich der Stadt Lwiw unweit der polnischen Grenze. In der Nacht zum Freitag hatte Russland seine Angriffe auf den Westen der Ukraine ausgeweitet. Angriffe mit Raketen wurden auch aus dem südukrainischen Mykolajiw gemeldet. Die Angaben liessen sich nicht von unabhängiger Seite überprüfen.
Nach ukrainischen Militärangaben versuchen russische Truppen, die nordostukrainische Stadt Tschernihiw aus südwestlicher Richtung zu blockieren. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte, dass in Tschernihiw eine wichtige Wasserleitung durch Beschuss beschädigt worden sei. In der Folge sei die Grossstadt mit knapp 280’000 Einwohnern ohne Wasserversorgung.
Selenskyj: Entführung von Bürgermeister «Zeichen der Schwäche»
Selenskyj forderte in einer Videoansprache in der Nacht zu Samstag die Freilassung des Bürgermeisters der von russischen Truppen besetzten Stadt Melitopol. Druck auf Bürgermeister oder ihre «physische Eliminierung» werde Russland nicht dabei helfen, ukrainische Städte zu übernehmen. Ein derartiges Vorgehen sei ein «Zeichen der Schwäche» Russlands. Kiew hatte am Freitag erklärt, dass der Bürgermeister des südukrainischen Melitopol, Iwan Fedorow, entführt worden sein soll. Dies liess sich nicht unabhängig überprüfen. In einem Video war zu sehen, wie Vermummte einen Mann aus einem zentralen Gebäude mitnehmen.
70 Prozent des Gebiets Luhansk besetzt
Ukrainischen Angaben zufolge sind mittlerweile 70 Prozent des Gebietes Luhansk im Osten des Landes von russischen Truppen besetzt. Das teilte der Leiter der Regionalverwaltung des Gebietes Luhansk, Serhij Hajdaj, in der Nacht zu Samstag auf Facebook mit. Jene Orte, die noch unter der Kontrolle Kiews stünden, seien dauerndem Beschuss ausgesetzt. Es gebe Dutzende verletze und getötete Zivilisten. Gleichzeitig kämen keine Fluchtkorridore für Menschen aus der Region zustande.
US-Präsident Biden: Wir müssen Dritten Weltkrieg verhindern
Eine direkte militärische Konfrontation in der Ukraine zwischen dem US-Militär und den russischen Streitkräften muss nach Ansicht von Präsident Joe Biden verhindert werden, damit es nicht zu einem «dritten Weltkrieg» kommt. Das US-Militär und die Nato-Partner werden «jeden Zentimeter» des Bündnisgebiets geeint und «mit voller Macht» verteidigen, schrieb Biden bei Twitter. «Aber wir werden in der Ukraine keinen Krieg mit Russland führen. Eine direkte Konfrontation zwischen der Nato und Russland ist der dritte Weltkrieg – und etwas, das zu verhindern, wir uns bemühen müssen», schrieb der Demokrat. Die Ukraine ist kein Nato-Mitglied.
Strom am ehemaligen Atomkraftwerk Tschernobyl läuft teils wieder
Am ehemaligen Atomkraftwerk Tschernobyl gelang es Technikern, einen Teil der Stromleitungen zu reparieren. Das berichtete die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien am Freitagabend unter Berufung auf den ukrainischen Betreiber. Die Stromversorgung für die Kühlung von Brennelementen wurde am Mittwoch unterbrochen. Die IAEA sah aber kein Sicherheitsproblem. Notstromgeneratoren liefern dort Strom. Trotz der schwierigen Lage sei es gelungen, dafür mehr Diesel anzuliefern.
Nach Forschungszentrum-Schäden in Charkiw: Keine erhöhte Strahlung
Nach dem von der Ukraine gemeldeten erneuten Beschuss eines nuklearen Forschungszentrums in der ostukrainischen Stadt Charkiw gibt es Entwarnung. Es seien keine Schäden festgestellt worden, die die Strahlensicherheit beeinträchtigten, hiess es in einer Mitteilung des ukrainischen Parlaments zur Lage der Atomanlagen. Auch die Stromversorgung sicherheitsrelevanter Systeme sei wiederhergestellt. Vom russischen Militär kam am Freitagabend der Vorwurf, ukrainische Kräfte hätten ein Gebäude des Forschungszentrums «gesprengt», um «Nuklearforschung zu verbergen».
Frankreich: Weitere Beschränkungen für Moskau bei Interpol möglich
Frankreich hält eine Sperrung des Zugangs Russlands zu Interpol-Mechanismen für möglich, nachdem für russische Ermittler bereits Einschränkungen eingeführt wurden. Russische Behörden können keine Anfragen mehr direkt an die Mitgliedländer verschicken, sondern nur über die Interpol-Zentrale. Dies sei beschlossen worden, um einen Missbrauch des Systems rund um den Ukraine-Krieg zu verhindern. Das französische Ministerium teilte am Freitag mit, es es gebe bereits den Verdacht mehrerer solcher Missbrauchsversuche.
Das wird am Samstag wichtig
Die deutsche Bundesaussenministerin Annalena Baerbock will sich im an die Ukraine grenzenden Moldau über die Lage der Kriegsflüchtlinge informieren. Sie wolle sich ein direktes Bild machen, um zu klären, wie Deutschland Moldau in dieser Ausnahmesituation noch umfassender unterstützen könne, sagte die Grünen-Politikerin vor dem Abflug. «Wir werden nicht zulassen, dass die von Russland verursachten Schockwellen auf weitere Länder in Europa überschwappen.» (awp/mc/ps)