Russland greift Ukraine erneut aus der Luft an
Kiew – Russland greift die Ukraine seit Tagen mit Raketen und Kampfdrohnen intensiv aus der Luft an. Auch in der Nacht auf Freitag herrschte über weiten Teilen der Süd- und Westukraine Luftalarm. Die Luftwaffe meldete Schwärme russischer Kampfdrohnen, die die Gebiete Odessa, Mykolajiw, Kirowohrad, Winnyzja und Tscherkassy bedrohten.
Am Donnerstag feuerten russische Kampfflugzeuge diesen Militärangaben zufolge drei Hyperschallraketen vom Typ Kinschal auf Ziele in der Ukraine ab. Eine der hochmodernen Waffen sei über dem Gebiet Kiew abgefangen worden.
Politisch erzielte die Ukraine am Donnerstag einen grossen Erfolg: Die EU-Staats- und Regierungschefs beschlossen auf einem Gipfel in Brüssel den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit dem von Russland angegriffenen Land. «Ein Sieg, der motiviert, inspiriert und stärkt», schrieb Staatschef Wolodymyr Selenskyj beim Kurznachrichtendienst X. In einzelnen Telefonaten dankte er nach eigenen Angaben Bundeskanzler Olaf Scholz, Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron, dem spanischen Regierungschef Pedro Sánchez und anderen für die Unterstützung.
Zugleich war es ein Tag, an dem der russische Präsident Wladimir Putin sich vor der Presse in Moskau siegessicher gab. Er bekräftigte die Maximalziele in seinem Angriffskrieg: eine Entwaffnung und Neutralität des Nachbarlandes sowie eine andere Regierung.
Selenskyj stattete zum Ende einer Auslandsreise Deutschland einen kurzen unangekündigten Besuch ab und besuchte in Wiesbaden das Europa-Hauptquartier der US-Streitkräfte. Am Freitag ist für die Ukraine der 660. Tag im Abwehrkampf gegen die russische Invasion.
Moskau setzt Hyperschallrakete Kinschal ein
Am Tag von Putins Pressekonferenz in Moskau am Donnerstag musste in der ukrainischen Hauptstadt Kiew und im ganzen Land fünfmal Luftalarm ausgelöst werden. Nachmittags starteten russische Kampfjets vom Typ MiG-31 drei Raketen vom Typ Kinschal, die mehrfache Schallgeschwindigkeit erreichen. Ein Ziel des Angriffs war offenbar die ukrainische Luftwaffenbasis Starokostjantyniwka. Der Sprecher der ukrainischen Luftwaffe, Jurij Ihnat, bestätigte im Fernsehen, dass es zumindest einen Einschlag dort im Gebiet Chmelnyzkyj gegeben habe. Zu Schäden wurde nichts mitgeteilt. Eine Kinschal wurde abgeschossen, als sie Richtung Kiew flog.
Am Mittwoch hatte die russische Luftwaffe zehn ballistische Raketen auf Kiew abgefeuert, mutmasslich umfunktionierte Geschosse des Flugabwehrsystems S-400. Die ukrainische Flugabwehr fing die Raketen zwar ab, doch herabstürzende Teile verletzten mehr als 50 Menschen.
In den vergangenen Nächten gab es stets Angriffe mit Shahed-Kampfdrohnen iranischer Bauart. Im vergangenen Winter hatte Russland gezielt das Energiesystem der Ukraine bombardiert. In diesem Winter ist die ukrainische Flugabwehr allerdings dank ausländischer Hilfe besser ausgerüstet. Die Bundesregierung in Berlin teilte mit, aus Deutschland sei ein zweites Patriot-Flugabwehrsystem mit Munition an die Ukraine übergeben worden.
Putins Ziele im Krieg
Der Kremlchef hielt nach einem Jahr Pause wieder eine Pressekonferenz ab, diesmal verbunden mit der landesweiten Bürgerfragestunde «Direkter Draht». Dabei bekräftigte er, dass der Krieg in der Ukraine erst enden werde, wenn das Land demilitarisiert sei und dann einen neutralen Status habe – also nicht der Nato beitrete. Einmal mehr sprach Putin auch vom Ziel einer «Entnazifizierung» der Ukraine. Moskau unterstellt, dass in der ukrainischen Führung Nazis am Werk sind. Absicht ist die Einsetzung einer russlandtreuen Regierung.
All dies würde auf eine Kapitulation der Ukraine hinauslaufen, die bereits zu einem Fünftel von russischen Truppen besetzt ist. «Der Frieden kommt dann, wenn wir unsere Ziele erreicht haben», sagte Putin.
Selenskyj auf Kurzbesuch bei US-Armee im Rhein-Main-Gebiet
Bei seiner unangekündigten Stippvisite im Rhein-Main-Gebiet besuchte Selenskyj das Hauptquartier der US-Streitkräfte in Europa. «Einmal mehr habe ich mich von der exzellenten Qualität der US-Militärhilfe für die Ukraine überzeugen können. Wir brauchen sie dringend für den Sieg!», schrieb er auf X. Er schloss die Erwartung an, dass der US-Kongress bald beschliessen werde, die Hilfe fortzusetzen. Auf einer mehrtägigen Reise hatte Selenskyj zuvor auch Washington besucht, wo die erhofften Hilfen im Streit zwischen Republikanern und Demokraten festhängen.
Keine Einigung über US-Hilfe mehr in diesem Jahr
Eine Einigung im US-Kongress über neue Hilfen für die Ukraine noch in diesem Jahr ist indes unwahrscheinlich. Der von den Demokraten geführte Senat will zwar über das Wochenende und in der kommenden Woche weiter über neue Ukraine-Hilfen verhandeln. Da sagte der demokratische Mehrheitsführer Chuck Schumer. Doch selbst wenn sich beide Parteien im Senat einigen sollten, könnte ein entsprechendes Gesetz wohl nicht vor dem Jahreswechsel im Kongress verabschiedet werden. Denn die zweite Parlamentskammer, das von den Republikanern geführte Repräsentantenhaus, ist bereits in den Weihnachtsferien. (awp/mc/pg)