Russland greift Ukraine mit Drohnen an – Die Nacht im Überblick
Kiew – Russland hat die Ukraine in der Nacht auf Dienstag erneut mit Schwärmen von Kampfdrohnen angegriffen. In allen Landesteilen im Osten und Süden der Ukraine herrschte Luftalarm. Die Luftwaffe berichtete von mindestens fünf Gruppen anfliegender Shahed-Drohnen iranischer Bauart. Angaben über Treffer der mit Sprengstoff beladenen Fluggeräte, über mögliche Opfer oder Schäden gab es zunächst nicht. Am frühen Dienstagmorgen meldete auch Russland ukrainische Drohnenangriffe, unter anderem auf die seit 2014 von Russland annektierte Halbinsel Krim.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj betonte in einer Videoansprache, wie wichtig die eigene Aufrüstung seines Landes mit Drohnen sei. «Es ist klar, dass dies eine der Hauptaufgaben des Jahres ist – dem Feind bei der Qualität der Drohneneinsätze voraus zu sein», sagte er nach einer Beratung mit den für Rüstung zuständigen Behörden und Firmen. Je besser ukrainische Drohnen seien, desto mehr werde das Leben von Soldaten geschont.
Die Ukraine wehrt seit fast zwei Jahren eine grossangelegte russische Invasion ab; am Dienstag wird der 706. Kriegstag gezählt. Die EU bereitete sich unterdessen auf die Abschöpfung von Erträgen auf Guthaben der russischen Zentralbank vor, die in europäischen Banken eingefroren sind. Wie die derzeitige belgische EU-Ratspräsidentschaft mitteilte, verständigten sich Vertreter der 27 Mitgliedstaaten auf einen Vorschlag. Die Erträge sollen der Ukraine zugute kommen.
Ministerium dementiert Entlassung von Oberbefehlshaber
Das ukrainische Verteidigungsministerium widersprach Berichten über eine Entlassung von Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj. «Sehr geehrte Journalisten, wir antworten allen zugleich: Das stimmt nicht», teilte das Ministerium auf Telegram mit. Zuvor hatte sich in Medien die Nachricht verbreitet, Selenskyj habe Saluschnyj entlassen. Der entsprechende Erlass sei noch nicht veröffentlicht. Auch Selenskyjs Sprecher Serhij Nykyforow dementierte die Berichte.
Der 50-jährige Saluschnyj wurde wenige Monate vor dem russischen Einmarsch vom Februar 2022 Oberbefehlshaber der Armee. Unter seinem Kommando hielten die ukrainischen Truppen der Invasion stand und eroberten sogar besetzte Gebiete zurück. Der General gilt als beliebt bei seinen Soldaten und in der Bevölkerung. Deshalb wurden ihm auch politische Ambitionen nachgesagt, die er aber dementierte.
Drohnen in der Luft und Gefechte am Boden
Besondere Gefahr durch die anfliegenden Drohnen bestand nach Angaben der ukrainischen Luftwaffe für die Industriestadt Krywyj Rih am Dnipro. Über einem Vorort seien Drohnen geortet worden. Insgesamt gilt die ukrainische Flugabwehr aber mittlerweile als gut gerüstet gegen die langsam fliegenden Shahed-Drohnen. Bei dem Angriff in der Nacht auf Montag wurden nach offiziellen Angaben alle acht russischen Drohnen abgefangen. Schwerer fällt es, Boden-Boden-Raketen oder umfunktionierte Flugabwehrraketen abzufangen.
Entlang der fast 1000 Kilometer lang am Boden habe es am Montag 51 versuchte russische Sturmangriffe gegeben, teilte der ukrainische Generalstab in seinem Lagebericht abends mit. Diese Militärangaben sind nicht unabhängig überprüfbar. Die Zahl der Gefechte lag aber niedriger als an anderen Tagen. Schwerpunkt der Kämpfe ist demnach weiterhin die Stadt Awdijiwka im Donbass.
Russland: Ukrainische Drohnenangriffe auf Krim und weitere Regionen
Derweil teilte auch Russland mit, angegriffen worden zu sein. Die russische Luftabwehr fing demnach ukrainische Drohnenangriffe auf die Krim und vier weitere Regionen ab. 21 ukrainische Drohnen seien insgesamt abgeschossen worden, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Betroffen waren neben der Krim den Angaben zufolge auch die Regionen Belgorod, Brjansk, Kaluga und Tula. Allein über der Schwarzmeerhalbinsel Krim seien 11 Drohnen abgefangen worden. Über Schäden oder Verletzte gab es keine Angaben. Unabhängig überprüfbar waren diese Angaben nicht.
In vielen Fällen erweist sich hinterher, dass der ukrainische Beschuss doch Schäden angerichtet hat, über die offiziell nicht berichtet wird. Für die russische Armee ist die Krim Aufmarschgebiet im Krieg gegen die Ukraine. Über die Halbinsel läuft der Nachschub an Soldaten, Waffen und Munition. Deshalb bemüht sich die Ukraine, russische Militärziele auf der Krim zu zerstören. Selenskyj strebt eine Rückeroberung der Halbinsel an.
Aussenminister der Ukraine und Ungarns sprechen über Streitfragen
In dem schwierigen Verhältnis zwischen Ungarn und der Ukraine bemühten sich die Aussenminister Dmytro Kuleba und Peter Szijjarto am Montag um Entspannung. Dabei sei ein «grosser Schritt» hin zu einem Treffen Selenskyjs mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban gemacht worden. Das teilte Selenskyjs Präsidialamtschef Andrij Jermak mit. Er nahm ebenfalls an dem Treffen in der Stadt Uschhorod teil. Abgesehen von einem kurzen Wortgefecht in Argentinien sind sich Orban und Selenskyj noch nicht begegnet. Zwischen den Aussenministern ging es Berichten zufolge vor allem um die Rechte der ungarischen Minderheit in der westlichen Ukraine.
EU will Zinsen auf russisches Geld an Ukraine auszahlen
Die EU plant nach Angaben von Diplomaten, in einem ersten Schritt dafür zu sorgen, dass die ausserordentlichen Erträge aus der Verwahrung von Vermögen der Moskauer Zentralbank gesondert aufbewahrt werden. In einem zweiten Schritt ist geplant, einen Teil der Gelder an die Ukraine weiterzuleiten. Dafür müssen allerdings noch weitere Rechtstexte ausgearbeitet werden.
Schätzungen zufolge könnte jährlich eine Summe in Milliardenhöhe anfallen. In der EU wurden nach Kommissionsangaben mehr als 200 Milliarden Euro der russischen Zentralbank eingefroren, und die Erträge aus deren Verwahrung des Kapitals steigen laufend. Es ist demnach nicht geplant, die Vermögen selbst zu enteignen und der Ukraine zu übergeben. (awp/mc/pg)