Russlands Ministerpräsident Wladimir Putin.
Genf – Nach 18 Jahre währenden Verhandlungen ist Russland am Freitag als 154. Mitglied in die Welthandelsorganisation (WTO) aufgenommen worden. Regierungsvertreter zahlreicher Staaten hiessen die Rohstoff- und Energiegrossmacht bei der 8. WTO-Ministerkonferenz in Genf willkommen. Zehn Jahre nach der Aufnahme Chinas ist Russland die letzte der grossen Volkswirtschaften, die Mitglied der Handelsorganisation wurde.
Jedoch muss Russland die Übernahme der WTO-Pflichten erst noch ratifizieren, bis spätestens 15. Juni kommenden Jahres. Nicht wenige Experten warnen allerdings davor, dass Russlands starker Mann Wladimir Putin ungeachtet des WTO-Beitritts wichtige Reformen in Wirtschaft und Handel verhindern könnte. «Die nötige Modernisierung Russlands steht im krassen Widerspruch zu Putins Machtsystem», meint der Moskauer Ökonom Wladislaw Inosemzew. Das System lebe von Korruption, Bürokratie, Rechtsunsicherheit und Vetternwirtschaft.
Auch Montenegro, Samoa und Vanuatu in WTO aufgenommen
Der Sprecher des russischen Aussenministeriums, Alexander Lukaschewitsch, erklärte am Freitag hingegen, der WTO-Beitritt und die damit verbundenen Bedingungen würden den nationalen Interessen entsprechen. Die künftige Mitarbeit Russlands in der WTO sei eine der wenigen guten Nachrichten in einer instabilen Situation der Weltwirtschaft. «Durch die Aufnahme des letzten grossen Staates, der lange Zeit ausserhalb des multilateralen Handelssystems geblieben war, wird die Organisation ihre Position als wirklich umfassende Plattform für Zusammenarbeit stärken.» Auch Montenegro, Samoa und der südpazifische Inselstaat Vanuatu gehören zu den neuen Mitgliedern der WTO, in der künftig zusammen mit Russland 157 Staaten vertreten sein werden.
USA und Russland liegen schon im Streit
Ein Streit zwischen Moskau und Washington, der auf den Kalten Krieg zurückgeht, hat die Aufnahme Russlands in die Welthandelsorganisation (WTO) überschattet. Die USA meldeten offiziell Vorbehalte gegen Russland an und verweigern dem Land vorerst Handelsbegünstigungen, die durch WTO-Mitgliedschaft ermöglicht werden. Eine entsprechende Mitteilung an das Sekretariat der Organisation vom Donnerstag wurde am Freitag bei der WTO-Ministerkonferenz in Genf bekanntgemacht. Russland reagierte umgehend mit einer ähnlichen Massnahme.
Jackson-Vanik Act
Die Aufnahme Moskaus war durch die Fehde jedoch zu keinem Zeitpunkt gefährdet, erklärten Diplomaten. Hintergrund seien gesetzliche Bestimmungen in den USA aus der Zeit des Kalten Krieges, hiess es in informierte Kreisen. Der sogenannte Jackson-Vanik Act erlaube es US-Regierungen nicht, «politisch empfindlichen Staaten» ohne Zustimmung des Kongresses Handelsvorteile zu gewähren. «Die US-Regierung könnte nun versuchen, diese Zustimmung noch rechtzeitig zu bekommen», erklärte ein mit dem Vorgang vertrauter Wirtschaftsjurist. Danach könne Washington seinen Einspruch gegen eine Kooperation mit Russland, der unter Berufung Artikel XIII des WTO-Vertrages erfolgte, jederzeit zurücknehmen.
USA kann Russlands Beitritt nicht verhindern
Möglicherweise werde dies noch vor dem Inkrafttreten der russischen WTO-Mitgliedschaft erfolgen, sagten Diplomaten. Dies ist erst der Fall, wenn das russische Parlament den WTO-Beitritt ratifiziert und die WTO darüber offiziell informiert wird. Ob die USA bis dahin tatsächlich die Hürden für eine normale Zusammenarbeit mit Russland im Rahmen der WTO beseitigt haben werden, erschien jedoch zunächst als ungewiss. Verhindert werden konnte – und sollte – Russlands Aufnahme in die WTO, über die 18 Jahre lang verhandelt worden war, durch den Schritt Washingtons nicht, hiess es in Genfer Kreisen. Für Beitritte zu WTO genügt eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Allerdings bleibe es bis zu einer Lösung dabei, dass die einst als Supermächte verfeindeten Staaten sich nicht gegenseitig die Handelsvorteile gewähren, die mit ihrer Mitgliedschaft in der WTO eigentlich vorgesehen sind.
Massnahme Washingtons auch gegenüber Moldawien in Kraft
Auf die Handelsbeziehungen der anderen mehr als 150 Mitgliedsstaaten mit Russland hat dies hingegen keine Einfluss. Russland berief sich in seiner Reaktion auf den selben WTO-Artikel wie Washington. Es war das erste Mal, dass ein neu zur WTO kommendes Land die Nicht-Anwendbarkeit der Regeln gegenüber einem anderen Mitgliedsland erklärte. Ansonsten wurde diese Massnahme in der WTO-Geschichte aber immer wieder ergriffen. Darunter mehrfach von den USA. Abgesehen von Russland ist die Massnahme Washingtons allerdings nur noch gegenüber Moldawien in Kraft. (awp/mc/upd/ps)