Moskau – Der deutsche Kanzler Olaf Scholz hat sich weiter zuversichtlich gezeigt, auf diplomatischem Weg eine Lösung für den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine zu finden. «So schwierig und ernst die derzeitige Lage auch scheint – ich weigere mich, sie als aussichtslos zu beschreiben», sagte Scholz am Dienstag nach einem Gespräch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau.
Allen Europäern und der Nato sei klar, dass nachhaltige Sicherheit nicht gegen Russland, sondern nur mit Russland erreicht werden könne. «Von allen ist jetzt mutiges und verantwortungsbewusstes Handeln gefragt», betonte Scholz. «Es ist unsere verdammte Pflicht und Aufgabe, als Staats- und Regierungschefs zu verhindern, dass es in Europa zu einer kriegerischen Eskalation kommt.»
Putin: Russland will keinen Krieg
Putin seinerseits betonte, dass Russland keinen neuen Krieg in Europa wolle. «Dazu, ob wir das wollen oder nicht: Natürlich nicht!», sagte Putin auf eine entsprechende Frage am Dienstag im Kreml vor Journalisten. Auch deshalb habe Russland eine Debatte um die Sicherheit in Europa angestossen, sagte Putin. Moskau sei weiter bereit, mit der Nato und mit den USA über Sicherheitsgarantien zu verhandeln.
Zugleich forderte er im Konflikt um die Ukraine den Westen auf, auf die Führung in Kiew Druck auszuüben, damit diese den Friedensplan von Minsk für die Ostukraine umsetzt. Putin hatte zuletzt mehrfach auch vor einer Aufnahme der Ukraine in die Nato gewarnt, weil damit ein Krieg drohe – etwa wenn Kiew sich die von Russland 2014 einverleibte Schwarzmeer-Halbinsel Krim mit militärischer Gewalt zurückholen wolle.
Schon seit Jahren werde versprochen, dass sich die Nato nicht ausdehne, behauptete Putin. Russland fordert schriftliche Garantien, dass dies nicht passiert. Die Frage einer Aufnahme der Ukraine in das Bündnis müsse jetzt entschieden werden. Putin wies einmal mehr zurück, dass die Nato ein friedliches Verteidigungsbündnis sei.
Erste Truppen ziehen nach russischen Angaben zurück ab
Kurz vor dem Treffen hatte Moskau erklärt, mit dem Abzug erster Truppen im Süden und Westen des Landes beginnen zu wollen. Zugleich gab es neue Verstimmungen wegen einer Resolution des russischen Parlaments über eine mögliche Anerkennung der von prorussischen Separatisten kontrollierten ostukrainischen Gebiete Donezk und Luhansk als «Volksrepubliken».
Nach beendeten Manövern sollten erste Soldaten noch am Dienstag in ihre ständigen Stützpunkte zurückkehren, sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow. Andere Manöver liefen aber weiter – auch im Nachbarland Belarus. Konaschenkow betonte, dass Russland einen «Komplex von grossangelegten Massnahmen zur operativen Ausbildung von Truppen und Streitkräften» fortsetze.
Möglicher Schritt der Entspannung
Dennoch wurde das Vorgehen als möglicher Schritt der Entspannung gewertet. Die Sprecherin des russischen Aussenministeriums, Maria Sacharowa, schrieb im sozialen Netzwerk Telegram: «Der 15. Februar 2022 wird als Tag des Scheiterns der westlichen Kriegspropaganda in die Geschichte eingehen.» Der Westen habe sich blamiert. Der ukrainische Aussenminister Dmytro Kuleba hingegen meinte: «Erst wenn wir einen Abzug sehen, dann glauben wir an eine Deeskalation.» Zugleich betonte er, Russland sei von einer Eskalation der Lage abgehalten worden.
Nato sieht keine Anzeichen für Rückzug russischer Truppen
Die Nato beobachtet nach eigenen Angaben keine Anzeichen für einen Rückzug russischer Streitkräfte aus dem Grenzgebiet zur Ukraine. «Bislang haben wir vor Ort keine Deeskalation gesehen, keine Anzeichen einer reduzierten russischen Militärpräsenz an den Grenzen zur Ukraine», sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Dienstag bei einer Pressekonferenz in Brüssel. Man werde allerdings weiter genau verfolgen, was Russland tue. Als positiv wertete Stoltenberg die von Moskau signalisierte Bereitschaft zur Fortsetzung von diplomatischen Bemühungen. «Das gibt Anlass zu vorsichtigem Optimismus», sagte er.
Die USA und Europa hatten auf die russischen Manöver äusserst besorgt reagiert. Die USA befürchten, dass die Truppenbewegungen sowie ein Aufmarsch Zehntausender Soldaten entlang der ukrainischen Grenze der Vorbereitung eines Krieges dienen. Russland weist das zurück.
Umstrittener Entscheid der Duma
Noch vor Beginn des Treffens von Scholz und Putin stimmte das russische Parlament mit grosser Mehrheit für eine Resolution, der zufolge der Kremlchef über eine Anerkennung der abtrünnigen ostukrainischen Regionen Luhansk und Donezk als «Volksrepubliken» entscheiden soll. Der Kreml teilte mit, dass die Staatsduma den Willen des russischen Volkes widerspiegele. Aber in der Sache gebe es noch keine Entscheidung, betonte ein Sprecher.
Die Ukraine warnte Russland vor einem solchen Schritt. «Im Falle der Anerkennung tritt Russland de facto und de jure aus den Minsker Vereinbarungen mit allen Begleiterscheinungen aus», sagte Aussenminister Kuleba in Kiew vor Journalisten. Der unter deutsch-französischer Vermittlung 2015 vereinbarte Friedensplan von Minsk, der Hauptstadt von Belarus, sieht eine Wiedereingliederung der prorussischen Separatistengebiete in die Ukraine mit weitreichender Autonomie vor. (awp/mc/pg)