Scholz will Kiew helfen, aber nicht reisen

Scholz will Kiew helfen, aber nicht reisen
Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz.

Kiew / Berlin – Bundeskanzler Olaf Scholz will die Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland weiter militärisch und wirtschaftlich unterstützen, einen Besuch in Kiew lehnt er momentan aber ab. Das Ziel seiner Politik sei: «Russland darf nicht gewinnen und die Ukraine darf nicht verlieren», sagte der SPD-Politiker am Montagabend in der ZDF-Sendung «Was nun?». Dass die Regierung in Kiew aber Mitte April Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ausgeladen habe, sei inakzeptabel gewesen.

Ein anderer Unterstützer der Ukraine, der britische Premierminister Boris Johnson, will am Dienstag per Video zum ukrainischen Parlament in Kiew sprechen. Dabei dürfte er laut vorab verbreitetem Redemanuskript weitere Militärhilfe im Wert von 300 Millionen Pfund (357 Millionen Euro) zusagen. Grossbritannien will auch Spezialfahrzeuge für den sicheren Transport von Zivilisten schicken. Johnson hatte vor einigen Wochen den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Kiew getroffen.

Bundesregierung bleibt wegen Steinmeier-Ausladung verstimmt
Die Bundesregierung hat nach eigenen Angaben in den ersten acht Kriegswochen Waffen und andere Rüstungsgüter im Wert von mindestens 191,9 Millionen Euro in die Ukraine geliefert. Scholz betonte, die Hilfe Deutschlands und anderer Staaten habe dazu beigetragen, «dass die ukrainische Armee, die wirklich sehr erfolgreich agiert, jetzt so lange durchhalten kann gegen einen so übermächtigen Gegner».

Doch mit Blick auf die Ausladung Steinmeier sagte er: «Es kann nicht funktionieren, dass man von einem Land, das so viel militärische Hilfe leistet, so viel finanzielle Hilfe leistet, das gebraucht wird, wenn es um die Sicherheitsgarantien geht, die für die Zeit der Ukraine in der Zukunft wichtig sind, dass man dann sagt: Der Präsident darf aber nicht kommen.» Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk kritisierte Scholz› vorläufiges Nein zu einer Reise nach Kiew und sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Eine beleidigte Leberwurst zu spielen klingt nicht sehr staatsmännisch.»

Steinmeier steht wegen seiner früheren Russland-Politik als Aussen- und Kanzleramtsminister in der Ukraine in der Kritik. Eine Reise nach Kiew mit den Präsidenten aus Polen, Estland, Lettland und Litauen kam nicht zustande. Seit Kriegsbeginn vor gut zwei Monaten sind schon mehrere EU-Staats- und Regierungschefs in die ukrainische Hauptstadt gereist, um Solidarität mit dem von Russland angegriffenen Land zu zeigen. Am Dienstag soll Linken-Politiker Gregor Gysi eine mehrtägige Reise beginnen. Aussenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und CDU-Chef Friedrich Merz planen ebenfalls Besuche.

Pentagon: Russlands Truppen kommen in Ostukraine kaum voran
Russische Truppen beschossen am Montag die Stadt Charkiw, das Gebiet Donezk im Osten und andere Regionen, In Odessa sei ein 14-jähriger Junge durch einen Raketentreffer auf ein Wohnhaus getötet worden, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj.

Zur Lage bei den Kämpfen am Boden in der Ostukraine teilte das US-Verteidigungsministerium mit, das russische Militär mache nur minimale Fortschritte. «Die Truppen leiden immer noch unter schlechter Führung und Kontrolle, die Moral in vielen Einheiten ist niedrig, die Logistik ist nicht optimal», sagte ein Vertreter des Pentagons. Das ukrainische Militär habe die Russen zum Beispiel weiter aus Charkiw zurückdrängen können.

Entsetzen über Lawrows Nazi-Vergleich
Eine antisemitische Äusserung des russischen Aussenministers Sergej Lawrow sorgt international weiter für Entrüstung. Selenskyj sagte, in einer Umkehrung von Tätern und Opfern habe Russlands Chefdiplomat das jüdische Volk für die Verbrechen der Nazis verantwortlich gemacht. «Solch ein antisemitischer Angriff ihres Ministers bedeutet, dass die russische Führung alle Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg vergessen hat oder sie vielleicht nie gelernt hat», sagte Selenskyj, der jüdischer Herkunft ist.

Lawrow hatte am Sonntag im italienischen Fernsehen die russische Kriegspropaganda wiederholt, die Ukraine werde von Nazis geführt. Er verstieg sich zudem zu der Behauptung, auch Adolf Hitler habe jüdisches Blut gehabt. Überhaupt seien viele Antisemiten Juden. Lawrows Äusserung stiess in Israel und vielen anderen Ländern auf Empörung. Das US-Aussenministerium sprach von widerwärtigen Bemerkungen.

Italiens Ministerpräsident Mario Draghi kritisierte die TV-Sendung, in der Lawrow 40 Minuten lang habe reden können, ohne dass er kritisch befragt worden sei. «Das war keine Glanzleistung.» Draghi rechtfertigte Waffenlieferungen an die Ukraine. Niemand wolle eine Verschärfung der Lage, sagte er in Rom. Aber man dürfe die Ukraine nicht im Stich lassen. «Ich habe es schon mehrmals gesagt: Wir werden den Frieden nur erreichen, wenn sich die Ukraine verteidigen kann.» (awp/mc/ps)

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