Die schottische Nationalpartei wirbt bis zur letzten Minute um «Ja»-Stimmen. (Screenshot snp.org)
Edinburgh – Schottland steht vor einer historischen Entscheidung: In einer Volksabstimmung kann das Land die mehr als 300 Jahre alte Union mit England aufkündigen. Kurz vor dem Urnengang am Donnerstag war das Land tief gespalten. In den jüngsten Umfragen lag das «No»-Lager gegen die Unabhängigkeit vier Prozentpunkte vor der «Yes»-Seite, das ist zu knapp für eine zuverlässige Prognose. Rund ein Siebtel der Befragten waren noch unentschlossen. Sie könnten über die Zukunft Schottlands und des Vereinigten Königreichs entscheiden.
Stunden bevor die Wahllokale im Norden der britischen Inseln öffneten, kämpften beide Seiten am Mittwoch fieberhaft um Stimmen. In den grossen Städten versammelten sich noch einmal Anhänger des «Yes»- und des «No»-Lagers, um für oder gegen die Abspaltung vom Vereinigten Königreich zu demonstrieren. Sollte am Donnerstag über die Hälfte der Schotten für die Abspaltung stimmen, würde das Land eineinhalb Jahre später unabhängig. Die Folgen für Grossbritannien und die Schotten, aber auch die EU und das Verteidigungsbündnis Nato sind kaum absehbar.
«Unser Land in unserer Hand»
Schottlands Regierungschef Alex Salmond rief seine Landsleute auf, «mit klarem Kopf und gutem Gewissen» für die Unabhängigkeit zu stimmen. «Es ist der grösste, uns am meisten Macht gebende Moment, den die meisten von uns je erleben werden», schrieb er. «Schottlands Zukunft – unser Land in unserer Hand.» Die Kampagnen pro und kontra Unabhängigkeit hätten alles gesagt. Nun sei es an der Zeit, einen Schritt zurückzutreten von Argumenten und Statistiken.
Wirtschaftliche Folgen im Fokus
In den vergangenen Wochen hatte die Wirtschaft im Mittelpunkt der Debatte gestanden. Zahlreiche Banken und Unternehmen hatten vor dramatischen Folgen gewarnt, sollte Schottland den Schritt in die Selbstständigkeit wagen. Offen ist etwa, ob Rest-Britannien eine Währungsunion mit dem neuen Nachbarn eingehen würde.
Unabhängigkeitsbewegung unterschätzt
Salmond hatte mit seiner Scotish National Party (SNP) im Jahr 2011 die absolute Mehrheit im schottischen Regionalparlament errungen und damit den Weg für das Referendum geebnet. Viel Kritik muss sich seit Wochen Grossbritanniens Premierminister David Cameron anhören, der mit den Schotten die Bedingungen der Abstimmung ausgehandelt hatte. Inzwischen haben selbst konservative Parteifreunde öffentlich seinen Rücktritt gefordert, falls ein Drittel der Landesfläche wegbrechen sollte.
London hatte die Unabhängigkeitsbewegung lange unterschätzt und erst in den vergangenen Tagen mit Nachdruck in den Kampf um Stimmen eingegriffen. Unter anderem reiste Cameron zweimal in den Norden, um die Schotten anzuflehen, Grossbritannien nicht zu verlassen. Gemeinsam mit anderen Parteichefs versprach er maximale Autonomie für Edinburgh, falls das Königreich vereint bleibt, und löste damit eine hitzige Debatte um Föderalismus auf der britischen Insel aus. Auf die Frage, ob ihn die Aussicht auf eine Niederlage am Donnerstag nachts wach halte, sagte der Premier der «Times» nur: «Natürlich.»
Ergebnis dürfte am Freitag Morgen feststehen
Schottland bereitete sich auf den Abstimmungstag und das nervenaufreibende Warten auf Zahlen vor. Viele Pubs haben Ausnahmen beantragt, damit sie von Donnerstag auf Freitag geöffnet bleiben können. Die Stimmen werden die Nacht über ausgezählt, das Ergebnis dürfte am Freitagmorgen zur Frühstückszeit feststehen. Die grösstenteils gute Wettervorhersage werde eher keinen Einfluss auf die Abstimmung haben, sagte der Glasgower Politologe John Curtice der Zeitung «Press and Journal». (awp/mc/pg)