Selenskyj fordert Bestrafung Russlands – Die Nacht im Überblick

Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj. (Bild: president.gov.ua)

Kiew – Nach dem Fund Hunderter Leichen in der von der russischen Besatzung befreiten ostukrainischen Stadt Isjum hat Präsident Wolodymyr Selenskyj in Kiew eine Bestrafung Moskaus wegen Kriegsverbrechen gefordert. Die Welt dürfe nicht zusehen, wie der «Terrorstaat» Russland töte und foltere, sagte Selenskyj. Russland müsse mit noch härteren Sanktionen bestraft werden. Aktuell seien mehr als 440 Gräber in der Nähe von Isjum im befreiten Gebiet Charkiw gefunden worden.

«Es ist zu früh, etwas über die Zahl der dort begrabenen Menschen zu sagen, die Ermittlungen dauern an», sagte Selenskyj in einer am Freitagabend in Kiew verbreiteten Videobotschaft. Zugleich betonte der 44-Jährige: «Es gibt bereits klare Beweise für Folter, erniedrigende Behandlung von Menschen. Ausserdem gibt es Beweise, dass russische Soldaten, deren Positionen nicht weit von dieser Stelle waren, auf die Beerdigten einfach aus Spass geschossen haben.»

Russland habe agiert wie im Frühjahr in Butscha, einem Vorort der Hauptstadt Kiew, wo gefesselte Leichen von Zivilisten gefunden worden waren. Selenskyj begrüsste, dass die Vereinten Nationen nun Experten schicken wollen, um die Taten «russischer Terroristen» zu erfassen.

USA verurteilen russische Kriegsverbrechen in der Ukraine
Die US-Regierung bezeichnete die Leichenfunde als «abscheulich». «Es passt leider zu der Art von Verdorbenheit und Brutalität, mit der die russischen Streitkräfte diesen Krieg gegen die Ukraine und das ukrainische Volk führen», sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby, am Freitag. «Es ist absolut verdorben und brutal.»

Es werde immer offensichtlicher, wozu der russische Präsident Wladimir Putin und seine Soldaten fähig seien, sagte er. Die US-Regierung werde weiterhin die Bemühungen unterstützen, russische Kriegsverbrechen und Gräueltaten zu dokumentieren, um schliesslich die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen zu können.

In Isjum sind mehr als 400 Leichen gefunden worden. Die Menschen sollen ersten Erkenntnissen zufolge ums Leben gekommen sein, als Russland die Stadt Ende März heftig beschossen habe. Ende März waren auch in dem Kiewer Vorort Butscha nach dem Abzug russischer Truppen Hunderte getötete Zivilisten teils mit Folterspuren gefunden worden. Butscha gilt seitdem als Symbol für schwerste Kriegsverbrechen im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Selenskyj berichtet von geretteten Studenten aus «Folterkammer»
Selenskyj berichtete zudem, dass nach dem Rückzug der russischen Armee aus dem Gebiet Charkiw «Folterkammern» in Städten und Ortschaften gefunden worden seien. Dort seien Zivilisten, darunter auch Ausländer, gefangen gehalten und misshandelt worden. Sieben Medizinstudenten aus Sri Lanka, die Selenskyj zufolge im März von russischen Soldaten in einem Keller eingesperrt wurden, seien gerettet worden und würden nun versorgt.

«Wir werden den Zugang gewährleisten, um der Welt zu sagen, dass der Russismus verurteilt werden muss.» Die Weltgemeinschaft müsse reagieren. Der Präsident erinnerte an die Initiative Kiews für ein internationales Tribunal, um Russland wegen seines Verbrechens der Aggression gegen die Ukraine zu bestrafen. Zugleich bekräftigte er Forderungen nach Reiseverboten für Russen in die EU und forderte Unternehmen zur Abkehr von Russland auf. «Wenn ein Staat den Weg des Terrors einschlägt, dann ist es die Pflicht einer Firma mit Selbstachtung, sich von einem solchen Staat zu distanzieren.»

Bei der Verteidigung gegen den von Putin Ende Februar begonnenen russischen Angriffskrieg setzt die Ukraine vor allem auf die Lieferung moderner westlicher Waffen. Das führe zu einer bedeutenden Stärkung der ukrainischen Armee, betonte Selenskyj in seinem Video auch mit Blick auf die jüngsten Kampferfolge.

Bundeswehrverband: Keine Abgabe aus Truppenbeständen an Ukraine mehr
In der Debatte über Panzerlieferungen an die Ukraine warnt der Deutsche Bundeswehrverband vor einer «Kannibalisierung unserer Truppe». «Wir verstehen den Wunsch der Ukraine nach schweren Waffen nur zu gut. Wir können uns vorstellen, beispielsweise Schützenpanzer aus den Beständen der Industrie abzugeben», sagte Verbandschef André Wüstner dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Samstag). «Was aus unserer Sicht als Berufsverband allerdings nicht mehr geht, ist die Abgabe von Waffen und Munition der Bundeswehr. Jede einzelne Lieferung führt zu einer Schwächung der Bundeswehr.»

Die Ukraine dringt auf weitere Waffenlieferungen aus Deutschland, auch von Kampfpanzern. Das lehnt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bislang ab. Auch die Koalitionspartner Grüne und FDP machen diesbezüglich Druck auf die SPD.

Die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sagte dem «Mannheimer Morgen» (Samstag): «Das, was der Ukraine militär-strategisch bisher gelungen ist, war nur möglich, weil die Ukraine die entsprechenden Waffen aus dem Westen geliefert bekam.» Nun müsse weiteres Material folgen – unter anderem auch der Schützenpanzer Marder, «mit dem die ukrainische Armee nachrücken und gezielt russische Stellungen bekämpfen könnte».

Am Donnerstag hatte die Bundesregierung angekündigt, es würden der Ukraine zwei weitere Mehrfachraketenwerfer Mars sowie 50 gepanzerte Fahrzeuge vom Typ Dingo überlassen. Zudem würden 200 Raketen geliefert. Der bewaffnete Radtransporter Dingo dient für Patrouillen- und Spähfahrten. (awp/mc/ps)

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