Selenskyj spricht von Erfolgen bei Offensive – Nacht im Überblick

Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj. (Bild: president.gov.ua)

Kiew / Paris – Nach der Rückeroberung mehrerer Dörfer im Osten der Ukraine hat Präsident Wolodymyr Selenskyj von einem Erfolg der bisherigen Offensivschläge gegen die russischen Streitkräfte gesprochen. «Dank unseren Männern für jede ukrainische Flagge, die an ihren rechtmässigen Platz in den Dörfern der neu von der Besatzung befreiten Gebiete zurückkehrt», sagte Selenskyj in seiner am Montagabend in Kiew verbreiteten Videobotschaft. «Die Kämpfe sind hart, aber wir kommen vorwärts, und das ist wichtig.» Am Morgen gab es jedoch auch wieder neue Angriffe auf die Ukraine – in der südöstlichen Grossstadt Krywyj Rih starben nach Angaben der dortigen Behörden mehrere Menschen, als eine Rakete in ein Wohnhaus einschlug.

Seit Tagen melden die ukrainischen Streitkräfte die Befreiung einer wachsenden Zahl von Dörfern vor allem im Gebiet Donezk, das Russland annektiert hatte. Insgesamt seien bisher sieben Orte befreit und 90 Quadratkilometer wieder unter ukrainischer Kontrolle, teilte Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar in Kiew mit.

«Die Verluste des Feindes sind genau das, was wir brauchen», meinte Selenskyj nach einem Treffen mit Generälen zur Lage im Frontgebiet. Besonders auch um die Ende Mai von Russland für eingenommen erklärte Stadt Bachmut werde die ukrainische Kontrolle ausgebaut. Bei der Zusammenkunft mit der Truppenführung sei es um militärische Erfolge gegangen, aber auch um die Frage, wo an der Front Verstärkung nötig sei, um russische Verteidigungsstellungen zu durchbrechen.

Selenskyj: «Wir behalten und stärken unsere operative Dominanz»
Selenskyj erwähnte ausserdem, dass die Bedingungen für Kampfhandlungen in diesen Tagen wegen des Wetters ungünstig seien. Regen weicht die Böden auf und macht das Gelände für schweres Militärgerät weniger gangbar. «Die Stärke unserer Kämpfer bringt dennoch Ergebnisse», betonte der Präsident.

Besonders lobte Selenskyj auch, dass russische Kriegsgefangene genommen würden. Das helfe dabei, mehr Verhandlungsmasse für einen Austausch gegen eigene Soldaten aus russischer Gefangenschaft aufzubauen.

Erörtert worden seien mit der Militärführung auch Massnahmen zur Stabilisierung der Lage in den befreiten Gebieten. Es werde daran gearbeitet, dort die nötigen Waffen und Munitionsvorräte bereitzustellen. «Wir behalten und stärken unsere operative Dominanz», sagte Selenskyj. «Wir glauben an den Sieg, er wird kommen.»

Die Ukraine verteidigt sich seit mehr als 15 Monaten gegen den russischen Angriffskrieg. Dabei helfen ihr Waffen und Munition westlicher Staaten. Russland spielte die Erfolge der ukrainischen Gegenoffensive zuletzt herunter und bezeichnete sie als unbedeutend. Gleichwohl hatte Moskau die Eroberung des gesamten Gebiets Donezk als ein Kriegsziel genannt. Dieses Vorhaben rückte weiter in die Ferne.

Gouverneur: Tote bei Raketeneinschlag in Wohnhaus in Südostukraine
Bei dem «massiven Raketenangriff auf Krywyj Rih» habe es mehrere Tote und Verletzte gegeben, teilte der Militärgouverneur des Gebiets Dnipropetrowsk, Serhij Lyssak, am frühen Dienstagmorgen auf Telegram mit. Zuvor hatte auch der Chef der örtlichen Militärverwaltung, Olexander Wilkul, von einem Einschlag in einem fünfstöckigen Gebäude berichtet und geschrieben, es seien wohl noch Menschen unter den Trümmern. Luftalarm wurde auch in anderen Regionen der Ukraine ausgerufen. Die Russen hätten erneut Marschflugkörper abgefeuert, auch auf die Hauptstadt Kiew, hiess es von den dortigen Behörden. Dort habe die Luftabwehr aber alle feindlichen Flugobjekte abgeschossen. Aus der östlichen Stadt Charkiw gab es Berichte über Drohnenangriffe.

Paris, Warschau und Berlin diskutieren Sicherheitsgarantien für Kiew
Derweil hofft die Ukraine weiter auf konkrete Perspektiven, damit nach einem herbeigesehnten Ende des russischen Angriffskriegs ihre Sicherheit gewährleistet ist. Über solche langfristigen Sicherheitsgarantien berieten Deutschland, Frankreich und Polen am Montagabend in Paris. Bundeskanzler Olaf Scholz traf dort Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron und den polnischen Staatschef Andrzej Duda.

Duda appellierte vor den gemeinsamen Beratungen: «Die Ukraine wartet auf ein eindeutige Signal bezüglich einer klaren Aussicht auf die Mitgliedschaft in der Nato.» Dies sei die Erwartung der ukrainischen Führung und der Soldaten, die ihr Land verteidigen. Er hoffe, der bevorstehende Nato-Gipfel am 11. und 12. Juli in Litauen werde der Ukraine das ersehnte «Licht am Ende des Tunnels» bringen.

Scholz sagte, gegenwärtig seien die Hauptanstrengungen darauf gerichtet, die Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland zu unterstützen. «Wir werden das auch weiter machen, so lange wie das notwendig ist, darauf sind wir vorbereitet.» Trotzdem mache die intensive Debatte über Sicherheitsgarantien Sinn, sagte der SPD-Politiker. Auch Macron zeigte sich zurückhaltender als Duda. Man wolle über die «Unterstützung der Nato für die Ukraine reden, um ihr alle Perspektiven zu geben, auf die sie ein Anrecht hat», sagte der französische Präsident. Er hoffe, dass der anstehende Nato-Gipfel es ermöglichen werde, einen Weg aufzuzeigen und eine klare Vision für die Zukunft der kollektiven Sicherheit zu entwickeln.

Auf dem Nato-Gipfel in der litauischen Hauptstadt Vilnius will die Ukraine eine konkrete Perspektive auf Aufnahme in das Verteidigungsbündnis bekommen. Wichtige Alliierte bremsen allerdings. Für die vermutlich noch lange Übergangszeit wird darüber diskutiert, die bestehende Nato-Ukraine-Kommission zu einem neuen Nato-Ukraine-Rat aufzuwerten. Ein solches gemeinsames Beratungsforum wäre ein wichtiger Schritt, um mit der Ukraine auf Augenhöhe Schlüsselfragen der Sicherheit diskutieren zu können.

Macron sagte auch, die vor einigen Tagen begonnene ukrainische Gegenoffensive solle sich über mehrere Monate erstrecken. Frankreich habe die Lieferung von Waffen und Munition zuletzt ausgebaut und liefere noch weiter. «Es gibt diese Gegenoffensive. Wir wünschen, dass sie so erfolgreich wie möglich sein wird, um anschliessend eine Verhandlungsphase unter guten Bedingungen auszulösen», sagte Macron. Der russische Angriffskrieg sei für Russland bereits jetzt ein strategischer wie geopolitischer Misserfolg.

Was am Dienstag wichtig wird
Der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, wird in Kiew erwartet. Er will offene Fragen zur Kühlwasserversorgung des ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja klären, dass die russischen Besatzer unter Kontrolle halten. Die Zerstörung des Kachowka-Staudamms am Dienstag vor einer Woche hat zu einem Absinken des Wasserstands im Reservoir des Dnipro-Flusses geführt, mit dem das AKW gekühlt wird.

Befürchtet wird, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt kein frisches Wasser zur Kühlung der stillgelegten Reaktoren und des Atomabfalls mehr angepumpt werden kann. Das AKW wäre dann auf Kühlteiche angewiesen, die laut IAEA zwar für mehrere Monate ausreichen würden. Experten der IAEA und anderer Organisationen sorgen sich jedoch angesichts des Kriegsgeschehens um die Sicherheit und Nachhaltigkeit dieser Zwischenlösung. (awp/mc/ps)

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