Selenskyj spricht von schwerer Lage
Kiew – Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat nach einem Frontbesuch die Lage im dortigen Kampfgebiet als «äusserst schwierig» bezeichnet. Probleme gebe es an Frontabschnitten, wo die Russen die grössten Reserven konzentriert hätten, sagte Selenskyj am Montag in seiner täglichen Videoansprache. «Sie nutzen Verzögerungen bei der Hilfe für die Ukraine aus.»
Selenskyj beklagte einen Mangel an Artilleriegeschossen, Flugabwehrsystemen im frontnahen Bereich und weitreichenden Raketen. Kiew arbeite mit Nachdruck an der Wiederaufnahme der Hilfen durch die westlichen Partner, versicherte der ukrainische Staatschef seinen Landsleuten. Erst am Wochenende hatten sich ukrainische Kräfte aus der Stadt Awdijiwka zurückziehen müssen.
Selenskyj hatte zuvor den Frontabschnitt Kupjansk im Gebiet Charkiw besucht. Die Russen, die im Herbst 2022 aus der Stadt vertrieben wurden, rücken seit Wochen auf die Kleinstadt mit dem strategisch wichtigen Eisenbahnknoten vor – auch weil die Ukrainer zu wenig Munition haben. In seiner Ansprache bedankte sich der Präsident bei den ukrainischen Betrieben, die die Rüstungsproduktion im eigenen Land vorantrieben. Derzeit könne sich das Land allerdings noch nicht autark mit Waffen und Munition versorgen und sei weiter auf Hilfen angewiesen, sagte er.
Koalitionsantrag für Lieferung weitreichender Waffen an Kiew geplant
In Deutschland wollen die Koalitionsfraktionen die Bundesregierung zur Lieferung zusätzlicher weitreichender Waffensysteme an die Ukraine auffordern. Im Entwurf für einen gemeinsamen Koalitionsantrag werden die Taurus-Marschflugkörper, gegen deren Lieferung sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bisher sträubt, zwar nicht namentlich erwähnt. Das Papier der Fraktionsvorsitzenden, das dem Magazin «Stern» und der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, fordert aber «die Lieferung von zusätzlich erforderlichen weitreichenden Waffensystemen und Munition, um die Ukraine (…) in die Lage zu versetzen, völkerrechtskonforme, gezielte Angriffe auf strategisch relevante Ziele weit im rückwärtigen Bereich des russischen Aggressors zu ermöglichen».
Mehrere ukrainische Kriegsgefangene angeblich von Russen erschossen
Russische Soldaten sollen nach der Einnahme der Kleinstadt Awdijiwka im Osten der Ukraine angeblich mehrere dort zurückgebliebene ukrainische Schwerverwundete entgegen einer Vereinbarung erschossen haben. ?Der Feind habe zugestimmt, die Verwundeten zu evakuieren, ihnen Hilfe zu gewähren und sie später auszutauschen, teilte die aus Awdijiwka abgezogene 110. Brigade bei Facebook mit. Später seien jedoch in Videos der russischen Seite mindestens fünf der Zurückgebliebenen als tot identifiziert worden. Der Verbleib eines Soldaten sei ungeklärt.
Tags zuvor hatte die ukrainische Staatsanwaltschaft bereits mitgeteilt, dass sie wegen der Erschiessung von sechs ukrainischen Schwerverwundeten durch die russische Armee Ermittlungen wegen Kriegsverbrechen und Mordes aufgenommen habe. In einem weiteren Fall soll zudem ein Drohnenvideo belegen, dass zwei weitere ukrainische Soldaten nach ihrer Gefangennahme bei der Ortschaft Wessele ebenfalls im Donezker Gebiet erschossen wurden.
Russland drohen wegen Nawalnys Tod neue Sanktionen
Die US-Regierung schliesst nach dem Tod des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny weitere Sanktionen gegen Moskau nicht aus. «Wir haben bereits Sanktionen verhängt, aber wir erwägen zusätzliche Sanktionen», sagte Präsident Joe Biden in Washington. Er hatte wenige Tage zuvor Kremlchef Wladimir Putin für den Tod des Oppositionellen verantwortlich gemacht.
Mit Blick auf eine Verabschiedung der milliardenschweren Ukraine-Hilfen im US-Kongress sagte der Demokrat, dass er nicht sicher sei, ob der Tod Nawalnys einen Unterschied mache und die Republikaner ihre Blockadehaltung aufgeben würden. Das Verhalten der republikanischen Abgeordneten im Repräsentantenhaus sei schockierend. Sie würden vor der Bedrohung durch Russland und ihren Verpflichtungen davonlaufen. Biden sagte weiter, er sei offen für ein Treffen mit dem republikanischen Vorsitzenden der Kammer, Mike Johnson.
EU will Sanktionsinstrument nach Nawalny benennen
Auch die Führung der Europäischen Union erwägt eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland. Das EU-Sanktionsinstrument zur Bestrafung von schweren Menschenrechtsverstössen soll nach dem gestorbenen russischen Oppositionsführer Alexej Nawalny benannt werden. Die Aussenminister der EU-Staaten hätten seinem Vorschlag dazu am Montag zugestimmt, sagte der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell am Abend in Brüssel. Die Umbenennung werde ein Weg sein, das Andenken an Nawalny aufrechtzuerhalten. Das Sanktionsregime solle künftig weltweite Nawalny-Sanktionsregelung im Bereich der Menschenrechte heissen. (awp/mc/pg)