Selenskyj will von Moskau ehrliche Gespräche
Kiew – Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat Russland nachdrücklich zu ernsthaften und ehrlichen Gesprächen über eine Friedenslösung aufgerufen. Sein Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk betonte die sogenannten roten Linien für die Verhandlungen mit der russischen Seite – Souveränität und territoriale Unversehrtheit der Ukraine sowie ihre staatliche Unabhängigkeit. Die Kämpfe dauern unterdessen vielerorts an. Dem russischen Militär unterstellt US-Verteidigungsminister Lloyd Austin viele taktische Fehler.
Selenskyj fordert von Moskau ehrliche Verhandlungen
«Sinnvolle Verhandlungen über Frieden und Sicherheit für die Ukraine, ehrliche Verhandlungen und ohne Verzögerungen, sind die einzige Chance für Russland, seinen Schaden durch eigene Fehler zu verringern», sagte Selenskyj am späten Freitagabend in einer Videoansprache. Sollte die territoriale Unversehrtheit der Ukraine nicht wiederhergestellt werden, so werde Russland «ernsthafte Verluste» erleiden.
«Es ist an der Zeit, die territoriale Einheit und Gerechtigkeit für die Ukraine herzustellen», sagte er. «Ansonsten wird Russland derartige Verluste erleiden, dass es mehrere Generationen brauchen wird, um sich wieder aufzurichten.» Selenskyj bekräftigte seine Forderung nach direkten Gesprächen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über eine Friedenslösung.
Die Kriegsparteien führen seit dem 28. Februar Verhandlungen darüber, zuletzt beinahe täglich mittels Videoschalte. Während Moskau von erkennbaren Kompromissen vor allem bei der Frage eines neutralen Status der Ukraine spricht, sieht Kiew keine grösseren Fortschritte. Russland strebt neben der Neutralität der Ukraine unter anderem eine Demilitarisierung des Landes an. Die Ukraine wiederum fordert neben einer sofortigen Waffenruhe den Abzug der russischen Truppen sowie anschliessende konkrete Sicherheitsgarantien.
Ukrainischer Parlamentschef betont rote Linien für Verhandlungen
Die Souveränität und territoriale Unversehrtheit der Ukraine sowie ihre staatliche Unabhängigkeit sind und bleiben für Kiew die sogenannten roten Linien bei den aktuellen Friedensverhandlungen mit Russland. Diese seien «unverrückbar», betonte Parlamentspräsident Stefantschuk in einem Beitrag auf der Webseite der Obersten Rada. Daher könne es nur ein Ergebnis geben: «Das ist unser Sieg.» Auf dem Weg dorthin gehe man «Schritt für Schritt» die wichtigen Punkte an. «Wir bewegen uns in die richtige Richtung», schrieb Stefantschuk.
US-Verteidigungsminister: Russen machen militärische Fehler
Das russische Militär hat nach Ansicht von US-Verteidigungsminister Austin taktische Fehler im Ukraine-Krieg gemacht. Es habe eine «Reihe von Fehltritten» gegeben, sagte Austin am Freitag in einem Interview des US-Senders CNN während seiner Reise nach Bulgarien. Russlands Armee habe in der Ukraine Rückschläge erlitten. «Sie hatten sich vorgestellt, dass sie schnell vorankommen und sehr schnell die Hauptstadt einnehmen würden, aber sie waren nicht in der Lage, das zu tun», sagte Austin. Ausserdem setzten die Russen taktische Informationen nicht gut ein. Aus dem Pentagon heisst es immer wieder, dass das russische Militär in der Ukraine kaum Fortschritte mache.
Schwere Kämpfe um Flughafen bei Cherson
Der Flughafen Tschornobajewka bei Cherson im Süden der Ukraine steht nach ukrainischer Darstellung weiterhin im Mittelpunkt erbitterter Kämpfe. «Wir haben sie dort schon wieder getroffen», schrieb am Samstag Olexij Arestowitsch, Berater des Büroleiters von Präsident Selenskyj, auf Facebook mit Blick auf die russischen Truppen. Die ukrainischen Streitkräfte hätten das russische Militär an diesem Flughafen bereits sechs Mal überfallen und dem Gegner dort schwere Verluste zugefügt. Dies liess sich nicht unabhängig überprüfen.
EU-Kommission warnt vor Hungersnot in der Ukraine
Angesichts der Kämpfe in der Ukraine warnt die EU-Kommission vor einer Hungersnot in dem Land. «Die Menschen in den belagerten Städten sind apokalyptischen Zuständen ausgesetzt – keine Nahrung, kein Wasser, keine medizinische Versorgung und kein Ausweg», sagte der für humanitäre Hilfe und Krisenschutz zuständige EU-Kommissar Janez Lenarcic der «Welt am Sonntag». Die humanitäre Krise in der Ukraine sei heute schon kritisch, könne aber noch schlimmer werden.
Ringen um Rettung von Zivilisten aus Brennpunkten bei Kiew
Nach der Rettung von mindestens 50’000 Zivilisten aus Kampfgebieten nördlich und nordwestlich der Hauptstadt Kiew bemühen sich die ukrainischen Behörden nunmehr um die Evakuierung der meistgefährdeten Brennpunkte. «Die Besatzungstruppen erlauben uns nicht, die Evakuierung aus den Brennpunkten fortzusetzen», teilte Olexij Kuleba, Leiter des humanitären Stabes der Region Kiew, in der Nacht zum Samstag auf Facebook mit. «Aber trotz des Zynismus des Feindes tun wir weiterhin alles, um das Leben unseres Volkes zu schützen.»
In Absprache mit der russischen Seite sind in den vergangenen Tagen wiederholt sogenannte Fluchtkorridore geöffnet worden, über die Zivilisten umkämpfte Städte und Ortschaften verlassen konnten. Die Vereinbarungen wurden jedoch nicht immer eingehalten, Zivilisten gerieten immer wieder unter Beschuss.
Was bringt der Tag?
US-Verteidigungsminister Austin setzt seinen Besuch in Bulgarien fort und will mit Ministerpräsident Kiril Petkow unter anderem über die Lage in der Ukraine sprechen. (awp/mc/ps)