Kiew/Moskau – Während die Ukraine in schnellen Schritten in die EU strebt, halten die Kämpfe im Land unvermindert an. An der Front im Osten der Ukraine versucht Russland nach Erkenntnissen des britischen Geheimdienstes, einen Ring um die Stadt Sjewjerodonezk zu schliessen. In dem dortigen Chemiewerk Azot sollen noch ukrainische Soldaten und Hunderte Zivilisten ausharren. Doch inzwischen gilt der Industriekomplex als komplett zerstört.
Das ukrainische Militär hat nach eigenen Angaben im Schwarzen Meer ein russisches Schiff mit Raketen angegriffen und schwer beschädigt. Das 2017 in Dienst genommene Schiff habe Munition, Waffen und Soldaten zur seit Ende Februar von Russland besetzten Schlangeninsel bringen sollen, teilte die ukrainische Marine in sozialen Netzwerken mit. Eine Bestätigung der russischen Flotte lag zunächst nicht vor.
Schwierige Lage in Sjewjerodonezk
Der ostukrainischen Stadt Sjewjerodonezk droht laut britischen Geheimdienstexperten weiterhin eine Einkreisung. Die russischen Truppen hätten ihre Bemühungen fortgesetzt, den Ring um die strategisch wichtige Stadt von Süden zu schliessen. «In den vergangenen 24 Stunden haben russische Kräfte wahrscheinlich weiterhin versucht, auf der Popasna-Achse die Oberhand zu bekommen, von der sie den Kessel von Sjewjerodonezk vom Süden her einkreisen wollen», hiess es in dem täglichen Update zum Ukraine-Krieg auf der Webseite des britischen Verteidigungsministeriums.
Nach ukrainischen Angaben ist die Chemiefabrik, wo noch Soldaten und Hunderte Zivilisten ausharren sollen, durch russischen Artillerie- und Raketenbeschuss fast vollständig zerstört. «Es gibt insgesamt auf dem Territorium des Chemiegiganten keine erhalten gebliebenen Verwaltungsgebäude mehr», schrieb der Militärgouverneur der ostukrainischen Region Luhansk, Serhij Hajdaj, auf Telegram.
Angespannte Versorgungslage mit Gas in Deutschland
Erstmals seit Ende März bezeichnete die Bundesnetzagentur die Situation der Gasversorgung in Deutschland als «angespannt». Sie sei «im Moment aber stabil», schrieb die Behörde in einem täglich erscheinenden Bericht. Die Versorgungssicherheit in Deutschland sei derzeit weiter gewährleistet. Zuvor hatte der russische Energieriese Gazprom die maximalen Liefermengen für russisches Gas durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 drastisch reduziert. Begründet hatte dies Gazprom mit Verzögerungen bei der Reparatur von Verdichterturbinen. «Von dieser Reduktion ist seit Mitte der Woche auch die Weitergabe von Gas in andere europäische Länder wie zum Beispiel Frankreich, Österreich und Tschechien betroffen», berichtete die Behörde.
Frankreich hingegen hat sich von russischen Gaslieferungen über eine Pipeline aus Deutschland komplett losgesagt. Die Gasversorgung werde dadurch nicht beeinträchtigt, und das Auffüllen der Speicher für den Winter gehe weiter, teilte der Gasnetzbetreiber GRTgaz mit. Selbst wenn Russland den Gashahn vollständig zudrehe, drohten in einem normalen Winter keine Probleme in Frankreich. Für Frankreich spielt Erdgas aus Russland eine untergeordnete Rolle. Ausser per Pipeline wird russisches Erdgas auch per Schiff eingeführt.
Putin: «Wirtschaftlicher Blitzkrieg» des Westens gescheitert
Nach Ansicht des russischen Präsidenten Wladimir Putin haben die westlichen Sanktionen gegen sein Land ihre Wirkung verfehlt. «Der wirtschaftliche Blitzkrieg hatte von Anfang an keine Chancen auf Erfolg», sagte Putin beim Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg. Die Sanktionen, die westliche Staaten als Reaktion auf den russischen Angriff auf die Ukraine verhängt haben, bezeichnete er als «wahnsinnig» und «gedankenlos». Die Strafmassnahmen träfen die EU ebenfalls hart. Er bezifferte den Schaden für Europa mit 400 Milliarden Dollar.
«Behindern Getreidelieferungen nicht»
Putin dementierte auch erneut, dass Russland die Getreidelieferungen aus der Ukraine verhindere. «Nicht wir haben die Häfen vermint», sagte der russische Präsident. Sollte Kiew sich entscheiden, die Minen zu räumen, werde Moskau die Sicherheit der Ausfuhren gewährleisten, sagte Putin. Nach Darstellung des russischen Präsidenten sind die ukrainischen Getreidelieferungen für den Weltmarkt allerdings unbedeutend. Es gehe um fünf bis sechs Millionen Tonnen Weizen und eine etwa ebenso grosse Menge Mais. Das sei für den Weltmarkt unerheblich, sagte Putin.
Eurovision Song Contest nicht in der Ukraine
Der nächste Eurovision Song Contest (ESC) findet wegen des russischen Angriffskriegs nicht beim diesjährigen Sieger Ukraine statt. Stattdessen wolle man Gespräche mit der BBC führen, ob der ESC 2023 in Grossbritannien ausgerichtet werden könne, teilte die Europäische Rundfunkunion (EBU) in Genf mit. Die ukrainische Band Kalush Orchestra hatte Mitte Mai mit dem Hiphop-Lied «Stefania» den 66. ESC in Turin gewonnen. Damit wäre die Ukraine der ESC-Tradition zufolge als Gastgeber des Wettbewerbs im Folgejahr gesetzt gewesen. (awp/mc/pg)