Ukraine-Krise: Ost und West suchen diplomatische Auswege
Russlands UN-Botschafter Witali Tschurkin. (Foto: UN Photo/Evan Schneider)
Moskau / Berlin – In der Ukraine-Krise macht der Westen mit neuen Sanktionsdrohungen Druck auf Russland. Nach eskalierender Gewalt im Osten der Ukraine kommt zwar verstärkt auch wieder die Diplomatie ins Spiel, doch im Land selbst wächst die Angst vor einem Krieg. Der Kiewer Regierungschef Arseni Jazenjuk sprach sogar von einem drohenden dritten Weltkrieg. Moskau will im Falle weiterer Gewalt im Nachbarland den Weltsicherheitsrat einschalten.
US-Präsident Barack Obama beriet sich in einer Telefonkonferenz mit Frankreichs Präsident François Hollande, Bundeskanzlerin Angela Merkel, dem britischen Premier David Cameron und Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi. Nach Angaben aus Paris setzen sie auf eine rasche Reaktion der G-7-Staaten. In Berlin hiess es, es sei über die nächsten Schritte gesprochen worden.
Im Osten der Ukraine setzten Sicherheitskräfte ihre «Anti-Terror-Operation» fort. So versuchten Sondereinheiten, die Stadt Slawjansk abzuriegeln. «Damit soll verhindert werden, dass die prorussischen Kräfte Verstärkung erhalten», sagte der Chef des Antiterrorzentrums, Wassili Krutow, am Freitag in Kiew. Nach seinen Angaben zerstörten prorussische Separatisten einen Armeehubschrauber. Ein Scharfschütze habe auf dem Militärflugplatz in Kramatorsk in den Tank der am Boden stehenden Maschine geschossen.
Weiterhin mehrere Verwaltungsgebäude besetzt
In der Ostukraine halten moskautreue Separatisten in mehreren Orten Verwaltungsgebäude besetzt. Sie fordern eine weitgehende Autonomie für das russisch geprägte Gebiet. Die vom Westen unterstützte Übergangsregierung in Kiew geht militärisch gegen selbst ernannte «Volksmilizen» vor. Der Einsatz war ukrainischen Medien zufolge zunächst unterbrochen, weil Russland ein militärisches Grossmanöver im Grenzgebiet begonnen hat, nachdem in Slawjansk im Raum Donezk ukrainische Regierungstruppen fünf Menschen getötet hatten.
Trotz der angespannten Lage sicherte die ukrainische Regierung OSZE-Beobachtern freien Zugang zu allen Teilen des krisengeschüttelten Landes zu. Die Führung in Kiew stehe zudem zu ihrer Zusage, mit einer Verfassungsreform einzelnen Regionen der Ex-Sowjetrepublik mehr Rechte zuzugestehen, sagte Regierungschef Arseni Jazenjuk in Kiew.
Rasche Verstärkung der OSZE-Mission
Die OSZE-Beobachtermission soll so schnell wie möglich verstärkt werden. Die Vorbereitungen seien bereits angelaufen, sagte der Sonderbeauftragte der OSZE für die Ukraine, Tim Guldimann, der dpa. Insgesamt könnten bis zu 500 Beobachter in das Land geschickt werden. Eine Aufstockung gehe aber nicht von einem Tag auf den anderen.
Russland strebt eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats an, falls erneut im Osten und im Südosten der Ukraine gewaltsam gegen die «Protestbewegung» vorgegangen werde, sagte der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin dem Moskauer Staatsfernsehen am Freitag. Russlands Aussenminister Sergej Lawrow warf dem Westen geopolitische Machtspiele um die Ukraine vor. Es gehe der EU und den USA nur darum, Europas zweitgrössten Flächenstaat in ihren Einflussbereich zu ziehen.
«Russland will den dritten Weltkrieg anzetteln»
Der Kiewer Regierungschef Jazenjuk warf Russlands Präsidenten Wladimir Putin vor, mit einem Grossmanöver sowie mit eingeschleusten «Terroristen» eine «militärische Aggression» auszuüben. «Russland will den dritten Weltkrieg anzetteln», sagte Jazenjuk. Die Ukraine fordere die internationale Gemeinschaft auf, gemeinsam gegen Russland vorzugehen.
Die deutsche Bundeskanzlerin Merkel verlangte von Putin ein klares Bekenntnis zu den Genfer Vereinbarungen für die Ukraine. Nach Angaben von Regierungssprecher Steffen Seibert stellte Merkel in einem Telefonat mit dem russischen Präsidenten klar, dass auch Deutschland bei einer Zuspitzung des Konflikts zu weiteren Sanktionen bereit ist. «Da möge sich keiner täuschen. Diese Bereitschaft besteht weiterhin», sagte Seibert.
Steinmeier mahnte in einem Schreiben an den OSZE-Vorsitzendenden, den Schweizer Aussenminister Didier Burkhalter, mehr Unterstützung an. Von zentraler Bedeutung sei, dass die vier Unterzeichner des Genfer Vereinbarungen – die USA, die EU, Russland und die Ukraine – «sichtbare politische Rückendeckung» zeigten.
Vermittlungsangebote
Staatspräsidenten und Vertreter von vier Ex-Sowjetrepubliken und sechs EU-Staaten boten an, im Ukraine-Konflikt zu vermitteln. Voraussetzung sei aber, dass die Ukraine und Russland dem zustimmten, sagte der tschechische Präsident Milos Zeman am Freitag am Ende eines zweitägigen Gipfels der Länder in Prag. Die «Östliche Partnerschaft» empfahl Russland, es möge in einer Friedensgeste seine Truppen von der Grenze zur Ukraine abziehen. Zugleich werde der Ukraine empfohlen, die Dezentralisierung voranzutreiben, hiess es.
Der Internationale Strafgerichtshof nahm vorläufige Ermittlungen zu möglichen Verbrechen in der Ukraine auf. Es gehe um die Zeit zwischen November 2013 und Februar 2014, teilte das Gericht in Den Haag mit. In dieser Periode soll der später abgesetzte Präsident Viktor Janukowitsch gegen Demonstranten vorgegangen sein. Dutzende Menschen wurden getötet.
S&P senkt Russlands Bonität – Nur noch eine Stufe über “Ramsch”
Derweil gerät Russlands Kreditwürdigkeit wegen der Ukraine-Krise zusehends unter Druck. Am Freitag senkte die Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) den Daumen: Die Bonitätsnote wurde um eine Stufe auf “BBB-” reduziert, wie S&P in London mitteilte. Das ist nur eine Stufe über dem sogenannten “Ramschbereich” (Non Investment Grade), der spekulative Anlagen kennzeichnen soll. Der Ausblick für das Rating ist negativ, was weitere Abstufungen erwarten lässt. Auslöser könnten etwa schärfere Sanktionen des Westens sein, schreibt die Agentur.
S&P hat recht schnell auf die jüngste Zuspitzung der Krise in der Ukraine reagiert. Erst Mitte März hatte die Agentur Russland mit einer Abstufung gedroht, als sie den Ausblick für das Rating auf negativ senkte. Den jetzigen Schritt begründen die Bonitätsprüfer vor allem mit dem krisenbedingt gewaltigen Kapitalabfluss aus Russland. In den ersten drei Monaten 2014 hätten Investoren insgesamt 51 Milliarden Dollar aus dem Land abgezogen. Das ist fast so viel wie der jährliche Abfluss im Schnitt der vergangenen fünf Jahre. “Wir sehen das als Risiko für die Wachstumsaussichten Russlands.”
Moskau kritisierte den Schritt von S&P als «zum Teil politisch motiviert». (awp/mc/ps)