SRF-TV-Korrespondentin in Minsk vorübergehend festgenommen
Bern – SRF-TV-Korrespondentin Luzia Tschirky ist am Sonntag in der belarussischen Hauptstadt Minsk von der Polizei für mehrere Stunden festgenommen worden. Der Grund war zunächst unklar. Laut eigenen Angaben war sie mit Bekannten in der Stadt unterwegs und von drei maskierten Sonderpolizisten in einen Minibus gezogen worden.
Die 29-Jährige war laut eigenen Angaben mit einer Bekannten und deren Mann zu Fuss unterwegs auf dem Weg in ein Café. An einer Ampel habe ein Minibus gestoppt. Drei maskierte Männer einer Sondereinheit hätten sie daraufhin in das Fahrzeug gezerrt, schilderte Tschirky ihre Festnahme nach der Freilassung in einem Interview auf «srf.ch».
Tschirky wurde rund drei Stunden lang festgehalten, wie ein Sprecher des Schweizer Aussendepartements (EDA) auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA sagte. Nach ihrer Freilassung begab sie sich auf die Schweizer Botschaft. Der Grund für die Festnahme war unklar. Von belarussischer Seite lag zunächst keine Stellungnahme vor.
«Sie haben uns nichts erklärt», sagte Tschirky im Interview. «Es hiess nur, man wolle unsere Identitäten überprüfen.» Sie vermutete Willkür. Seit den Präsidentschaftswahlen im August habe es regelmässig an Sonntagen Demonstrationen gegen die Regierung gegeben. So hätten sich Menschen in kleinen Gruppen in Innenhöfen getroffen, um zu demonstrieren. «Vielleicht vermutete man, dass wir uns mit anderen treffen wollten.»
Cassis erleichtert
Laut SRF hält sich Tschirky mit einer gültigen Akkreditierung in Belarus auf. Ihre Bekannte und deren Mann wurden den Angaben zufolge zunächst weiter festgehalten.
Der Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis reagierte erleichtert auf die Freilassung. «Ich bin erleichtert und danke allen, die sich für eine rasche Lösung eingesetzt haben», teilte Cassis auf Twitter mit.
Zuvor hatte das Schweizer Aussendepartement beim belarussischen Aussenministerium interveniert. Der Schweizer Botschafter in Minsk, Claude Altermatt, veröffentlichte nach der Freilassung ein Foto mutmasslich aus der Schweizer Vertretung, das ihn mit Tschirky beim Anstossen zeigt.
Das Schweizer Fernsehen SRF kritisierte die mehrstündige Festnahme heftig. «Wir sind befremdet, dass unsere Korrespondentin auf offener Strasse und ohne Grund verhaftet worden ist und verurteilen dieses Vorgehen der Behörden von Belarus aufs Schärfste», liess sich der Leiter der SRF-TV-Auslandredaktion, Reto Gerber, in einer Stellungnahme auf der SRF-Internetseite zitieren.
Kritik am Regime
Tschirky ist seit Frühjahr 2019 TV-Korrespondentin von SRF in Russland. Sie hatte am Sonntag vor ihrer Verhaftung von Minsk aus über die Anti-Regierungsdemonstrationen in Russland berichtet. Dabei äusserte sie auch Kritik an der belarussischen Regierung unter Langzeit-Machthaber Alexander Lukaschenko.
«Hier schaut man heute genau nach Russland und wie die Sondereinheiten mit Demonstranten umgehen», erklärte Tschirky auf Twitter. «Das Absperren der Moskauer Innenstadt: Ein Zeichen, dass der Kreml Strategien von Lukaschenko übernimmt. Dessen Strategie kennt nur eine Richtung: Repression.»
Die Schweiz hatte Mitte Dezember wegen der Gewalt nach den umstrittenen Präsidentenwahlen in Belarus Sanktionen gegenüber Lukaschenko erlassen. Für ihn und 14 weitere Personen gelten seitdem Finanzsanktionen und ein Einreiseverbot.
«Letzter Diktator Europas»
Der 66-jährige Alexander Lukaschenko gilt als «letzter Diktator Europas». Er hatte sich nach der von Manipulationsvorwürfen überschatteten Wahl mit 80,1 Prozent zum Sieger erklären lassen. Bei Protesten gegen die Regierung gab es mehrere Tote, Hunderte Verletzte und rund 30’000 Festnahmen.
Im Dezember war eine schweizerisch-belarussische Doppelbürgerin aus St. Gallen in Minsk zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt worden. Die 51-Jährige war bei einer Frauen-Kundgebung am 19. September in Minsk festgenommen worden.
Der Bundesrat äusserte sich damals erneut «sehr besorgt» über die angespannte Lage in dem osteuropäischen Binnenstaat. Er rief in einer Mitteilung zum Dialog zwischen der Regierung und der Zivilgesellschaft auf, und er forderte Belarus auf, internationale Menschenrechtsverpflichtungen einzuhalten. (awp/mc/pg)