Druck auf Präsident Biden immens: Steht Rückzug bevor?

Joe Biden

US-Präsident Joe Biden. (Official White House Photo by Adam Schultz)

Washington – Im US-Wahlkampf mehren sich die Anzeichen, dass der demokratische Präsident Joe Biden womöglich aus dem Rennen um eine zweite Amtszeit aussteigen könnte. Angesichts von enormem Druck aus der eigenen Partei schliesst der 81-Jährige einen Rückzug Medienberichten zufolge nicht mehr kategorisch aus. Auch die allererste Reihe der Demokraten soll mittlerweile versucht haben, Biden zum Rückzug zu bewegen. Als möglicher Ersatz ist in den vergangenen Wochen Bidens Stellvertreterin Kamala Harris mehr und mehr in den Fokus gerückt.

Biden hat sich nach einer Infektion mit dem Coronavirus in sein Privathaus in Rehoboth Delaware zurückgezogen. Er nimmt derzeit keine öffentlichen Termine wahr. Öffentlich hat er die Rückzugsforderungen bislang entschieden zurückgewiesen. Auch sein Wahlkampfteam betont beharrlich, er habe nicht vor, hinzuschmeissen.

Medien: Biden-Umfeld hält dessen Rückzug für möglich
Die «New York Times» berichtete unter Berufung auf mehrere Personen aus dem nahen Umfeld des Demokraten, der 81-Jährige scheine allmählich zu akzeptieren, dass er seinen Wahlkampf womöglich aufgeben müsse. Er habe jedoch noch keine Entscheidung getroffen.

Eine der Personen sagte dem Bericht zufolge, es wäre keine Überraschung, wenn er statt seiner selbst die Stellvertreterin Kamala Harris als Präsidentschaftskandidatin für die Wahl im November vorschlagen würde. Ähnliche Stimmen zitierte auch «The Hill». In diesem Bericht hiess es ausserdem, gut vernetzte Kenner der Demokratischen Partei gingen davon aus, dass Biden zeitnah eine Ankündigung zu seiner politischen Zukunft machen könnte.

Der Sender NBC News berichtete, Mitglieder aus Bidens Familie hätten darüber beraten, wie ein mögliches Ausstiegsszenario im Falle einer Rückzugentscheidung aussehen könnte. Der Sender berief sich dabei auf zwei anonyme mit den Gesprächen vertraute Quellen. Überlegungen zu den Auswirkungen auf den Wahlkampf, auf Bidens Gesundheit, die Familie und die Stabilität des Landes stünden bei den Diskussionen im Vordergrund, hiess es dort.

Nach dem Attentat auf den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump war die Debatte über Bidens Fitness für eine zweite Amtszeit kurzzeitig in den Hintergrund getreten – sie kam aber im Laufe der Woche mit voller Wucht zurück. Die Corona-Infektion des Präsidenten kam dann noch hinzu. Sie dürfte Biden, der eine Wahlkampfreise abbrechen musste, Zeit zum Nachdenken geben.

Vize Kamala Harris im Fokus
Als die Diskussionen um einen möglichen Biden-Ersatz entbrannte, fiel der Name von Bidens Vizepräsidentin, die im Amt auffällig blass geblieben war, nicht als Erstes. Doch in den vergangenen Tagen richteten sich die Augen der Demokraten zunehmend auf Harris. Einige ihrer Parteikollegen begannen, die Leistung der 59-Jährigen öffentlich zu loben.

Biden selbst pries die Verdienste seiner Stellvertreterin bei einer Wahlkampfrede vor schwarzen Wählerinnen und Wählern auffallend offensiv an. Er sagte: «Sie ist nicht nur eine grossartige Vizepräsidentin, sie könnte auch Präsidentin der Vereinigten Staaten sein.» Mehrfach betonte er, was Harris und er gemeinsam für das Land erreicht hätten.

Harris ist die erste Schwarze, die den Eid als US-Vizepräsidentin abgelegt hat. Ihr Vater wanderte einst aus Jamaika ein, um Wirtschaft zu studieren. Ihre Mutter – eine Krebsforscherin und Bürgerrechtlerin – kam aus Indien. Als Vize gilt Harris als natürliche Nachfolgerin Bidens. Die Demokraten bräuchten gute Gründe, die erste schwarze Vizepräsidentin einfach zu übergehen.

Auch Trump und seine Republikaner haben sich im Wahlkampf bereits auf Harris eingeschossen. «Die Demokraten beginnen, sich hinter Kamala Harris zu versammeln, da es nicht mehr zu leugnen ist, dass Joe Biden ungeeignet für das Amt ist», hiess es in einer bereits vor mehr als zwei Wochen verschickten Werbemail für Trump.

Bedenken von ganz oben in der Partei
Dass nichtöffentliche Wortmeldungen der einflussreichsten Demokraten im Land in den vergangenen Tagen quasi parallel nach aussen drangen, dürfte kein Zufall sein.

Die «Washington Post» berichtete, der frühere Präsident Barack Obama, dessen Vize Biden damals war, habe vertrauten Personen gesagt, dass Bidens Chancen auf einen Wahlsieg stark gesunken seien und dieser sein Festhalten an der Kandidatur überdenken solle.

CNN berichtete, die Spitzenpolitikerin und enge Vertraute Bidens, Nancy Pelosi habe dem Präsidenten in einem persönlichen Gespräch gesagt, er könne Trump im Rennen ums Weisse Haus nicht schlagen. Sie hat sich öffentlich bislang zwar nicht offen gegen ihn gestellt, ihm aber auch nicht den Rücken gestärkt.

Im Vertrauen sollen neben Pelosi und Obama auch andere Spitzen-Demokraten den Daumen über Biden gesenkt haben. Die beiden führenden Demokraten im US-Kongress, Hakeem Jeffries und Chuck Schumer, warnten Biden übereinstimmenden Medienberichten zufolge davor, an seiner Präsidentschaftsbewerbung festzuhalten.

Ballonregen und familiäre Geschlossenheit bei Trump
Im krassen Kontrast zum Chaos um Biden stand das grosse Finale des Parteitags der Republikaner in Milwaukee, wo am späten Abend (Ortszeit) ein Ballonregen auf Donald Trump niederging. Der 78-Jährige war offiziell bereits am Montag zum Präsidentschaftskandidaten gekürt worden, seine Annahmerede hielt er aber erst am Ende am Donnerstag. Am Tag davor hatte bereits sein just verkündeter Vizekandidat J.D. Vance sich an das Publikum gewandt. Das Duo und ihre Familien demonstrierten am Ende gemeinsam Einigkeit auf der Bühne.

Die Rede von Trump war der Abschluss einer mit hochkarätigen Rednern aus dem rechten Spektrum vollgepackten Woche. Bevor der Ex-Präsident die Bühne betrat, hatten unter anderem der Ex-Wrestler Hulk Hogan und der Musiker Kid Rock das Publikum eingeheizt. Hogon riss sich bei seinem Auftritt ein T-Shirt vom Leib – darunter trug er ein ärmelloses, knallrotes Shirt, auf dem «Trump – Vance 2024» stand. Kid Rock animierte das euphorische Publikum dazu, die Parole «Kämpft, kämpft» zu wiederholen.

Trump spricht über Attentat und hetzt gegen Migranten
In seiner mit Spannung erwarteten Rede nahm Trump dann unter grossem Jubel die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten seiner Partei an. Zu Beginn berichtete er auch von den Schreckmomenten des Attentates auf ihn. «Ich stehe hier vor euch, in dieser Arena, nur durch die Gnade des allmächtigen Gottes», sagt er und erinnerte auch an den Mann, der bei der Wahlkampfveranstaltung im US-Bundesstaat Pennsylvania erschossen worden war. Dabei küsste er den auf der Bühne präsentierten Helm des ehemaligen Feuerwehrmannes.

Zwar warb Trump zu Beginn seiner Ansprache damit, ein «Präsident für ganz Amerika» sein zu wollen. Dann driftete er aber ab in seine übliche Wahlkampfrhetorik. So hetzte er unter anderem minutenlang gegen Migranten und benutzte in diesem Kontext entmenschlichende Sprache: «Wir sind zu einer Müllhalde für den Rest der Welt geworden – und der lacht uns aus. Die denken, dass wir dumm sind», sagte Trump. Im restlichen Teil der Rede beschäftigte er sich in ähnlich radikaler Manier mit Themen wie Inflation und innere Sicherheit. Er stellte sich ausserdem als Opfer der Justiz dar. Seinen neuen Vize Vance bedachte er hingegen nur mit wenigen Sätzen.

Bidens Wahlkampfteam warnte nach Trumps Rede vor einer erneuten Präsidentschaft des Republikaners, der eine «noch extremere Vision für das Land» verfolge. Darin bezogen sich die Demokraten konkret auch auf das Handbuch der rechtskonservativen Denkfabrik Heritage Foundation namens «Project 2025», das als radikale Blaupause für Trumps erste 180 Tage im Amt dienen könnte. Zwar versucht dieser offiziell Abstand zu der Schrift zu nehmen. Doch die Stiftung und die Republikanische Partei sind eng miteinander verbunden – sie gehört zu den Sponsoren des Parteitags in Milwaukee. (awp/mc/pg)

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