Angriffe auf Odessa – Putin reist nicht zu Gipfel in Südafrika
Odessa / Moskau – Mit Dutzenden Raketen und Drohnen haben russische Truppen die zweite Nacht in Folge die südukrainische Metropole Odessa angegriffen. Es war die schwerste Attacke seit Kriegsbeginn vor 17 Monaten, wie Bürgermeister Hennadij Truchanow am Mittwoch auf Facebook schrieb. Über den Schwarzmeerhafen liefen viele ukrainische Agrarexporte im Rahmen des Getreideabkommens, das Moskau nun aufgekündigt hat. Präsident Wolodymyr Selenskyj beklagte, Russland ziele «absolut bewusst» auf Hafenanlagen und Getreidelager.
Auf einem russischen Militärgelände der von Moskau annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim flogen über viele Stunden grosse Mengen Munition in die Luft. Aus vier Dörfern wurden nach Behördenangaben etwa 2200 Menschen in Sicherheit gebracht. Die Ukraine hat auf der Krim schon mehrfach russische Militärziele angegriffen, aber ohne sich klar dazu zu bekennen. Kiew will die Halbinsel zurückholen, die Russland sich 2014 einverleibt hat und nun als Aufmarschgebiet für den Angriffskrieg nutzt.
Putin kommt nicht zum Brics-Gipfel nach Südafrika
Für Kreml-Chef Wladimir Putin gibt es Ende August keinen Auftritt auf grosser Bühne: Er reist nicht zum Gipfel der Brics-Staaten in Südafrika, wie die dortige Regierung mitteilte.
Hintergrund ist, dass Südafrika Putin wegen eines internationalen Haftbefehls aus Den Haag eigentlich hätte festnehmen müssen. Der Internationale Strafgerichtshof dort wirft dem 70-Jährigen Kriegsverbrechen vor.
Der Gipfel der aufstrebenden Brics-Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika findet vom 22. bis 24. August in Johannesburg statt. Putin wird sich dort aber per Video zuschalten. «Das wird eine vollwertige Teilnahme sein», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge. Vor Ort wird anstelle Putins Aussenminister Sergej Lawrow teilnehmen.
In Odessa mehrere Gebäude beschädigt
In der Metropole Odessa wurden bei den russischen Attacken nach Behördenangaben mehrere Gebäude durch Explosionen beschädigt, mindestens sechs Menschen erlitten Verletzungen.
Dem Südkommando der ukrainischen Streitkräfte zufolge wurden Hafenanlagen mit einem Getreide- und einem Speiseölterminal getroffen. Beschädigt wurden auch Tanks und Verladeanlagen. Im Stadtgebiet seien auch Lagergebäude zerstört worden. Zudem sei auf einer Fläche von 3000 Quadratmetern ein Brand ausgebrochen.
Auch militärische Ziele und Anlagen der wichtigen Infrastruktur seien getroffen worden, teilte die ukrainische Luftwaffe mit. Insgesamt habe die russische Armee am Mittwochmorgen über 31 Raketen unterschiedlicher Typen eingesetzt. Etwas mehr als die Hälfte habe nicht abgefangen werden können. Von 32 eingesetzten russischen Kampfdrohnen wurden demnach 23 abgeschossen.
Berichte über abgefangene Flugobjekte gab es auch aus den Gebieten Kiew, Mykolajiw und Sumy. Im westukrainischen Gebiet Schytomyr wurde Behörden zufolge ein Objekt der kritischen Infrastruktur getroffen worden. Raketeneinschläge gab es demnach auch im zentralukrainischen Gebiet Kirowohrad.
Schon in der Nacht auf Dienstag war Odessa Hauptziel der russischen Angriffe gewesen. Dies wurde vom Verteidigungsministerium in Moskau ausdrücklich als Reaktion auf die Beschädigung der 19 Kilometer langen Krim-Brücke am Tag zuvor bezeichnet.
Ebenfalls am Montag hatte Russland die Sicherheitsgarantien für einen sicheren Transport von Agrargütern aus drei ukrainischen Schwarzmeerhäfen aufgekündigt. Dazu und zu den Angriffen sagte Andrij Jermak, Leiter des Präsidialamtes in Kiew: «Der russische Terror bei Odessa beweist ein weiteres Mal: Sie brauchen Hunger und Probleme in den Ländern des Globalen Südens. Sie möchten eine Flüchtlingskrise für den Westen schaffen.»
In Moskau bestätigte das Verteidigungsministerium die neuen Angriffe auf Odessa – von Flugzeugen und Kriegsschiffen aus. Ministeriumssprecher Igor Konaschenkow behauptete allerdings, es seien im Bereich der Stadt Objekte der Militärindustrie, Treibstoffanlagen und Munitionsdepots unter Beschuss genommen worden.
FDP-Verteidigungsexpertin: «Tür zum Frieden einen Spalt breit auf»
Die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sieht den russischen Präsidenten Putin durch den Aufstand der Söldner-Gruppe Wagner «nachhaltig geschwächt». Aus Sicht der Vorsitzenden des Bundestags-Verteidigungsausschusses erhöht sich damit die Chance auf ein Ende des Angriffskrieges. «Meine persönliche Einschätzung ist: Zum ersten Mal geht die Tür zum Frieden einen Spalt breit auf», sagte sie dem «Stern». (awp/mc/ps)