Seoul – Nach der kurzzeitigen Verhängung des Kriegsrechts hat Südkoreas Parlament Präsident Yoon Suk Yeol seines Amtes enthoben. Der 63-Jährige wurde umgehend von seinen Aufgaben entbunden. Ob dies dauerhaft so bleibt, entscheidet das Verfassungsgericht des Landes voraussichtlich in der ersten Jahreshälfte 2025.
Ministerpräsident übernimmt Yoons Aufgaben
Ein von der Opposition eingebrachter Antrag auf Amtsenthebung hatte am Samstag die benötigte Zwei-Drittel-Mehrheit in der Nationalversammlung erhalten. 204 der 300 Abgeordneten stimmten dafür, 85 dagegen. Zudem gab es drei Enthaltungen und acht ungültige Stimmen. Vor dem Parlament und im Zentrum der Hauptstadt Seoul demonstrierten Zehntausende Gegner und Unterstützer Yoons.
Yoon hatte Anfang Dezember überraschend das Kriegsrecht inmitten eines Haushaltsstreits mit der Opposition verhängt. Er geriet dafür massiv in die Kritik. Ein erster Amtsenthebungsantrag war vor einer Woche noch an der Regierungspartei gescheitert.
Übergangsweise übernimmt Ministerpräsident Han Duck Soo nun die Amtsgeschäfte von Yoon. Der 75-Jährige versprach, alles für einen geordneten Ablauf der Staatsgeschäfte zu unternehmen. Zudem habe er angeordnet, dass das Militär seine Sicherheitsvorkehrungen verstärkt. Die Opposition kündigte an, nicht gegen Han vorzugehen.
Am Telefonat sicherte Han US-Präsident Joe Biden zu, die diplomatischen Beziehungen und Sicherheitspolitik ohne Unterbrechung fortzusetzen, wie die amtliche Nachrichtenagentur Yonhap meldete. Die USA als wichtiger Verbündeter des ostasiatischen Landes sicherten ihrerseits ihren Willen zur Zusammenarbeit zu.
Entscheidung des Verfassungsgerichts binnen 180 Tagen
Das Verfassungsgericht muss innerhalb von spätestens 180 Tagen eine Entscheidung über die Amtsenthebung von Yoon treffen. Es kann diese entweder bestätigen oder für verfassungswidrig erklären.
Derzeit sind nur sechs der neun Richterposten des Gerichts besetzt. Sollte es zu keinen Neunominierungen vor der Entscheidung kommen, würde eine einzige Gegenstimme ausreichen, um die Amtsenthebung von Yoon zu verwerfen. In diesem Fall würde der 63-jährige seinen Präsidentenposten zurückerhalten.
«Ich werde all die Kritik, den Zuspruch und die Unterstützung, die ich erhalten habe, mitnehmen und bis zum Ende mein Bestes für die Nation geben», sagte Yoon nach der Amtsenthebungsentscheidung. Park Chan Dae, Fraktionsvorsitzender der oppositionellen Demokratischen Partei (DP), bezeichnete die Abstimmung als «Sieg für das Volk und für die Demokratie».
Yoon in schwieriger Lage
Die Verhängung des Kriegsrechts hatte Südkorea in eine tiefe Krise gestürzt. Yoon ordnete das Militär an, die Nationalversammlung abzuriegeln. Dennoch gelangten 190 Abgeordneten in den Plenarsaal, um gegen die Kriegsrechtsentscheidung zu stimmen. Zahlreiche Bürger protestierten auf die Strassen gegen Yoon. Binnen weniger Stunden hob dieser das Kriegsrecht wieder auf.
Experten werten das radikale Vorgehen Yoons als innenpolitisch motivierte Verzweiflungstat. Schon länger kursierten Korruptionsvorwürfe gegen seine Ehefrau. Yoons Beliebtheitswerte im Volk waren zudem jüngst extrem niedrig. Obendrein hatte seine Regierungspartei, die im Parlament keine Mehrheit hat, über Monate praktisch keine Gesetzesvorhaben mehr durchbringen können. (awp/mc/ps)