von Patrick Gunti
Moneycab.com: Herr Gitzel, China ist 2020 als einzige grosse Volkswirtschaft der Welt nicht geschrumpft. Im Gegenteil, sie ist um 2,3% gewachsen, im letzten Quartal sogar um 6,5%. Wir ordnen Sie diese Zahlen ein?
Thomas Gitzel: Alleine die Tatsache, dass das chinesische BIP im Jahr 2020 nicht schrumpfte, kann als Erfolg gewertet werden. Während Europa oder auch die USA massive BIP-Rückschläge ausweisen, expandiert die chinesische Volkswirtschaft sogar mit 2.3 %. Zwei Dinge waren für das relativ gute Abschneiden Chinas verantwortlich. Zum einen brachte die Administration in Peking das Virus unter Kontrolle. Massentests und die Isolation ganzer Regionen und Städte hielt die Ausbreitung von Covid19 in Schach.
Zum anderen profitierte China von einer ausländischen Corona-Sondernachfrage. Durch Produktionsumstellungen wurde das Land zum wichtigsten Lieferanten für Hygieneartikel. China avancierte rasch zum wichtigsten Produzenten etwa für Masken. Aber auch die riesige Konsumgüterindustrie des Landes profitierte von der Nachfrage nach Monitoren, Tastaturen, Routern und Notebooks. Die Arbeitnehmer in den USA oder auch Europa wollten schliesslich im Homeoffice eine vernünftige Arbeitsumgebung haben.
Wie verlässlich sind die aktuellen Daten?
Ob die Daten verlässlich sind oder nicht, wissen wir nicht. Da es aber offizielle Daten sind und hierzu kaum eine Alternative vorhanden ist, müssen wir sie so nehmen, wie sie sind. Ich denke aber, dass das ausgewiesene Wachstum von 2.3% im vergangenen Jahr durchaus realistisch ist.
Mit welchen Massnahmen hat China seine Wirtschaft in den letzten Monaten gestützt?
Die chinesische Regierung reagierte unter anderem mit Steuerentlastungen. Die beste staatliche Unterstützung für die Wirtschaft waren aber die Massentests und die dadurch erzielte Kontrolle über das Virus. Doch der entscheidende Punkt waren nicht etwaige Stützungsmassnahmen der Regierung. Letztlich war die wirtschaftliche Erholung ein Selbstläufer. Man muss verstehen: China ist Krisengewinnler. Je strikter die Eindämmungsmassnahmen in den USA und Europa wurden, desto besser ging es der chinesischen Wirtschaft.
All die Produkte, welche die Welt während der Corona-Pandemie benötigte, kamen und kommen aus China. Masken, Monitore, Notebooks, Router und Möbel waren und sind immer noch stark nachgefragt. Die chinesischen Möbelexporte legten monatsweise um knapp 140% zu. Der Export medizinischer Produkte verbuchte im Juni ein Plus von 107% gegenüber dem Vorjahresmonat. Dies führt derzeit gar zu der Situation, dass auf den Weltmeeren keine freien Container-Kapazitäten mehr verfügbar sind. China wartete also im zurückliegenden Jahr stellenweise mit Superlativen auf. Staatliche Unterstützung war unnötig geworden. Die chinesische Wirtschaft boomt.
«China ist Krisengewinnler. Je strikter die Eindämmungsmassnahmen in den USA und Europa wurden, desto besser ging es der chinesischen Wirtschaft.»
Thomas Gitzel, Chefökonom VP Bank
Lässt sich rückblickend auf das vergangene Jahr sagen, wie gross der durch das Coronavirus entstandene Schaden für die chinesische Wirtschaft war?
Gemessen am Bruttoinlandsprodukt kam es zu keinem Schaden. Das BIP lag im Schlussquartal 2020 bereits wieder um 6.5% über dem Vorjahresquartal.
Keine grösseren Virus-Ausbrüche vorausgesetzt: Geht es in diesem Stil weiter?
Ja, vorerst. Solange das Virus die grossen westlichen Industrienationen in Schach hält, wird die Corona-Sondernachfrage anhalten. Masken und Monitore werden weiterhin benötigt werden.
Wird China als Lokomotive aus der Coronakrise für den Rest der Weltwirtschaft fungieren?
Läuft die chinesische Produktion auf Hochtouren, braucht es Maschinen, die etwa aus Deutschland oder Japan kommen. Die gute chinesische Einkommenssituation macht den Kauf teurer Autos möglich. Auch davon wird besonders Deutschland profitieren. Geht es Deutschland wiederum gut, schiebt dies auch die Konjunktur in der gesamten Eurozone an. Auch die Schweiz gehört zu den Profiteuren. Dies macht deutlich: China wird zum globalen konjunkturellen Zugpferd des laufenden Jahres.
«China wird zum globalen konjunkturellen Zugpferd des laufenden Jahres.»
Wie beurteilen Sie die Rolle Chinas als Investor in dieser Zeit? Werden sich chinesische Unternehmen die Corona-bedingte Schwäche z.B. europäischer Unternehmen zu Nutze machen?
Ja, China ist weiterhin auf Einkaufstour. Selbst wenn kleine mittelständische Betriebe verkauft werden, steht China häufig mit dem nötigen Geld parat und schlägt zu. Allerdings zeigt sich auch, dass die ausländischen Direktinvestitionen chinesischer Unternehmen in Europa rückläufig sind. Dies liegt auch an der Trump’schen Handelspolitik. Das internationale Investitionsklima wurde vergiftet. Möglicherweise schafft ja aber nun das EU-China-Investitionsabkommen neues gegenseitiges Vertrauen.
Chinesische Konsumenten bevorzugen zunehmend einheimische Produkte. Was bedeutet dies für europäische Unternehmen?
Europäische Luxusartikel werden auch weiterhin gefragt bleiben. Autos, Handtaschen und Kleider bleiben ein europäisches Chic. Fakt ist aber, dass chinesische Produkte nun auch qualitativ überzeugen. Das war lange Zeit nicht so. Europäische Unternehmen müssen sich zukünftig sicherlich warm anziehen.
Dennoch hat auch der Handels- und Technologiekonflikt mit den USA China die Abhängigkeit vom Ausland vor Augen geführt. Welche Massnahmen sind vom neuen Fünfjahresplan der KP zu erwarten, der im März verabschiedet werden soll?
China möchte sich vom Ausland unabhängiger machen. Das Reich der Mitte setzt auf eigene Innovationen und eigene Technik. In Anbetracht der Grösse des Landes mit einer Einwohnerzahl von rund 1.3 Milliarden kann sich das China auch erlauben. Das eigene Land gibt genügend Expansionspotenzial her. Klar ist, es wird zukünftig noch mehr Geld in Wissenschaft und Forschung fliessen. Allerdings gibt es gerade für europäische Unternehmen noch Chancen. China möchte bis zum Jahr 2060 CO2-neutral werden. Da Europa im Bereich der Umwelttechnik über einen Wissensvorsprung verfügt, wird man in Fernost weiterhin auf das europäische Know-How angewiesen sein.
«Mit einem Joe Biden sind zumindest wieder Handelsgespräche möglich. In der Sache allerdings bleibt auch die demokratische Verhandlungsführerschaft hart.»
Rechnen Sie mit einer Entspannung des US-chinesischen Verhältnisses nach dem Amtsantritt von Joe Biden?
Nein. Eine grundlegende Entspannung wird es nicht geben, denn es geht dabei um den Kampf der globalen wirtschaftlichen Vormachtstellung. Dies ist völlig losgelöst von der im Weissen Haus regierenden Partei. Für Entspannung dürfte aber zumindest der von Joe Biden erwartete konziliantere Ton sorgen. Mit einem Joe Biden sind zumindest wieder Handelsgespräche möglich. In der Sache allerdings bleibt auch die demokratische Verhandlungsführerschaft hart.
Herr Gitzel, besten Dank für das Interview.