Heinrich Hiesinger, Vorstandsvorsitzender ThyssenKrupp AG.
Essen – Im Kampf gegen die enorme Schuldenlast hat der Stahlkonzern ThyssenKrupp seine selbst gehaltenen Aktien für rund 1,6 Milliarden Euro verkauft. Mit dem Schritt sollen das Eigenkapital gestärkt und die Schulden reduziert werden, teilte ThyssenKrupp am Donnerstag mit. Das Aktienpaket hatte einen Umfang von 9,6 Prozent und war in den Jahren 2006 und 2008 zusammengekauft worden.
Mit dem Verkauf steigt der Streubesitz auf knapp 75 Prozent an. Die restlichen Aktien liegen in Händen der Krupp-Stiftung. An der Börse löste die Aktienplatzierung einen Kursverfall aus. Die ThyssenKrupp-Papiere verloren 5,15 Prozent auf 32,960 Euro. Das war der grösste Verlust seit Ende Oktober 2009. Der deutsche Leitindex Dax legte um 0,5 Prozent zu. Die knapp 50 Millionen Aktien wurden in einem beschleunigten Bookbuilding-Verfahren platziert. Käufer waren nach Konzernangaben vorwiegend deutsche und internationale institutionelle Investoren. Verkauft wurden die Papiere zu einem Preis von 32,95 Euro das Stück.
«HB»: Nur 70 Prozent gezeichnet
Allerdings gingen einem Bericht des «Handelsblatts» vom Freitag zufolge nur 70 Prozent der Papiere weg. Den Rest übernahmen die drei an der Platzierung beteiligten Investmentbanken Deutsche Bank, Commerzbank und HSBC Trinkaus & Burkhardt. «Sie sitzen nun auf 30 Prozent der Aktien», sagte ein Frankfurter Investmentbanker der Zeitung. «Das sind rund 700 Millionen Euro – und das kostet sie jetzt richtig Geld». Die Banken tragen nun alle Kursrisiken, solange sie die Anteilsscheine in ihren Büchern haben. Grund ist der Zeitung nach die zu hoch angesetzte Preisspanne zwischen 32,95 und 33,95 Euro. ThyssenKrupp kann dies zunächst gleichgültig sein, da die Geldhäuser die Abnahme der Aktien zum Preis von 32,95 Euro garantiert hatten. Allerdings gilt der Vorgang nicht gerade als ein Vertrauensbeweis der Investoren in das Unternehmens.
Zeitpunkt eigentlich gut gewählt
ThyssenKrupp nutzte für die Platzierung die gute Entwicklung der eigenen Aktien in den vergangenen Monaten. Das Papier hat sich seit Anfang April um etwa 25 Prozent besser als das des Konkurrenten ArcelorMittal entwickelt. Analyst Stefan Röhle von Independent Research sprach deshalb von einem gut gewählten Zeitpunkt. Analysten zeigten sich dennoch über den Umfang des Aktienverkaufs überrascht. Das sei eine «grosse Kröte», die den Markt wohl einige Tage beschäftigen dürfte, sagte einer. Analyst Kartik Swaminathan von Goldman Sachs kündigte an, sein Kursziel zu überarbeiten. Den Schuldenabbau wertete er in einem ersten Kommentar aber als positiv. ThyssenKrupps Bilanz werde dadurch robuster. Ausserdem halte das Management damit Wort, den Schuldenberg weiter abbauen zu wollen.
Alternative zu Verkäufen?
Für Cheuvreux-Analyst Alexander Haissl ist der Zeitpunkt der Transaktion überraschend, operativ sei der Stahlkonzern aber auf Kurs. Nach dem jüngsten Treffen mit dem ThyssenKrupp-Management sei er zudem überzeugt, dass die geplanten Beteiligungsverkäufe so früh wie möglich angekündigt werden. Cedar Barnes von Merrill Lynch stellte die Frage, ob die Platzierung als Alternative zum Verkauf von Randaktivitäten zu sehen sei. In der vergangenen Woche hatte ThyssenKrupp das Scheitern des schon sicher geglaubten Verkaufs der Hamburger Traditionswerft Blohm + Voss an Abu Dhabi Mar bekanntgegeben. Für den neuen Konzernchef Heinrich Hiesinger hat der Abbau der Schulden oberste Priorität. Dadurch will er Raum für neue Milliardeninvestitionen schaffen. Allein in den ersten sechs Monaten des laufenden Geschäftsjahres 2010/2011 (30. September) war die Verschuldung vor allem wegen Anlaufverlusten bei Stahlwerksprojekten in Brasilien und den USA um rund 2,7 Milliarden Euro auf knapp 6,5 Milliarden angewachsen.
Umbau steht bevor
Der frühere Siemens-Manager hatte betont, der überwiegende Teil der Investitionen werde in den Technologie-Bereich und in Geschäfte auf vielversprechenden Zukunftsmärkten in den Schwellenländern fliessen. Zum dem Konzept, das bis Anfang 2012 abgeschlossen sein soll, zählt auch der Verkauf von Unternehmensteilen mit einem Umsatz von zusammen 10 Milliarden Euro. Fast jeder Fünfte der rund 180.000 Mitarbeiter soll dabei den Konzern verlassen. Möglicherweise werden auch Teile wie das Edelstahlgeschäft an die Börse gebracht. Nach dem Ende der Wirtschaftskrise, die auch den Stahlbereich hart getroffen hatte, ging es bei ThyssenKrupp zuletzt wieder bergauf. Der Aktienkurs erholte sich von rund 12 Euro Ende 2008 auf inzwischen weit über 30 Euro. Nach der Ankündigung, die eigenen Aktien zu verkaufen, rutschte der Kurs am Donnerstag allerdings um mehr als 5 Prozent ab. (awp/mc/ps)