Jean-Claude Trichet, Präsident Europäische Zentralbank EZB.
Hamburg – EZB-Präsident Jean-Claude Trichet hat die Staaten Europas zu einer engeren wirtschaftspolitischen Zusammenarbeit aufgerufen. «Es muss hier dramatische Veränderungen geben. Das ist die Lehre aus dieser Krise. Vor ihrem Ausbruch dachten die Regierungen, sie könnten eine Politik des benign neglect, also der ‹wohlwollenden Vernachlässigung›, betreiben. Jetzt ist klar, dass dies nicht mehr geht.»
Dies sagte der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) laut einem am Mittwoch verbreiteten Vorabbericht der Wochenzeitung «Die Zeit».
«Schritt in die richtige Richtung»
Der deutsch-französischen Vorschlag eines «Pakts für mehr Wettbewerbsfähigkeit» könne sich als ein Schritt in die richtige Richtung erweisen. «Aktuell wissen wir noch nicht, was dieser Pakt genau beinhaltet. Wenn er darauf abzielt, das Funktionieren der Wirtschaftsunion durch mehr Koordinierung und Integration zu verbessern, dann werden wir ihn unterstützen», sagte Trichet dem Blatt. Die Euro-Staaten müssten ihre Politik an den Gesetzmässigkeiten einer Währungsunion ausrichten, in der es keine nationale Geldpolitik mehr gebe. «Wenn ein Land einen Boom erlebt, muss es seine eigene nationale Politik – also die Fiskal-, Lohn- und Strukturpolitik sowie die Finanzaufsicht – restriktiver gestalten, damit die Wirtschaft nicht überhitzt oder die Spekulation ausser Kontrolle gerät.»
G20 sollen sich steigenden Lebensmittelpreisen annehmen
Trichet forderte die Staaten der G20 auf, gegen die steigenden Preise für Lebensmittel vorzugehen. «Die Bevölkerungen von grossen aufstrebenden Volkswirtschaften ändern ihr Konsumverhalten, das treibt die Nahrungsmittelpreise in die Höhe. Gut möglich, dass dieser Anstieg noch einige Zeit weitergeht», sagte Trichet. Dieses Problem könne jedoch gelöst werden. «Zugleich gibt es in Afrika immense Flächen, die landwirtschaftlich genutzt werden könnten. Wir brauchen hierzu die richtigen Anreize für die dortigen Bauern. Das ist ein wichtiges globales Thema, mit dem sich Gremien wie die G 20 beschäftigen sollten.» Die Notenbanken alleine könnten den Anstieg der Nahrungsmittelpreise nicht in den Griff bekommen, sagte Trichet. Ihre Aufgabe sei es nur, zu verhindern, dass ein Anstieg der Rohstoffpreise über höhere Lohnforderung zur Kompensation der Kaufkraftverluste eine Inflationsspirale auslöse. Mit der Krisenpolitik der Notenbanken habe der zuletzt gestiegene globale Preisdruck nichts zu tun. Dieser sei die «Folge der rasanten wirtschaftlichen Erholung in den aufstrebenden Volkswirtschaften».
Trichet hält ‹Vereinigte Staaten von Europa› für möglich
Derweil hält der EZB-Präsident «Vereinigte Staaten von Europa» für möglich. Die Völker Europas müssten entscheiden, «ob ein vollständiger Zusammenschluss, die Vereinigten Staaten von Europa, stattfinden wird oder nicht», sagte Trichet laut einem Vorabbericht der Wochenzeitung «Die Zeit». Davon sei die EU aber derzeit noch «weit entfernt». Auf die Frage, ob er selbst ein solches Ziel anstrebe, sagte er: «Ich spreche jetzt als Bürger Europas und nicht als Präsident der Europäischen Zentralbank. Ich bin davon überzeugt, dass wir weiter gehen sollten als geplant».
«Das ist Axels persönliche Entscheidung»
Trichet zeigte sich überzeugt, dass es auch in Deutschland eine Mehrheit für mehr Europa gebe. «Ich bin sehr viel in Deutschland unterwegs. Mein Eindruck ist: Die erste Reaktion mag skeptisch sein, aber letztlich ist allen bewusst, wie wichtig unser historisches Projekt, wie wichtig die enge Zusammenarbeit und die Freundschaft der Völker Europas ist», sagte er laut dem Blatt. Den Rückzug von Bundesbankpräsident Axel Weber nahm Trichet gelassen auf. «Das ist Axels persönliche Entscheidung, die ich respektiere. Wir haben über viele Jahre hinweg an zahlreichen Themen erfolgreich zusammengearbeitet.» (awp/mc/ps)