Taipeh / Washington – Ungeachtet aller Drohungen aus China ist die US-Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi am Dienstag zu einem Besuch in Taiwan eingetroffen. Der Aufenthalt der Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses ist für die demokratische Inselrepublik der ranghöchste Besuch aus den Vereinigten Staaten seit einem Vierteljahrhundert. Schon im Vorfeld hatten sich die Spannungen mit China verschärft. Peking sieht Taiwan als Teil der Volksrepublik an. Offizielle Kontakte anderer Länder zu Taipeh lehnt es entschieden ab.
Noch vor der Landung erhöhte Chinas Volksbefreiungsarmee die Drohkulisse mit Manövern, Schiessübungen, dem Einsatz von Militärflugzeugen und Kriegsschiffen nahe Taiwan und sperrte Seegebiete. Unmittelbar zuvor berichtete das chinesische Staatsfernsehen, dass Kampfflieger vom Typ Su-35 den Meeresweg der Taiwanstrasse überflogen. Wie viele es waren und welches Ziel sie hatten, wurde nicht mitgeteilt. Als Reaktion auf die militärischen Muskelspiele hatte Taiwans Militär zuvor schon seine Kampfbereitschaft erhöht, wie die Nachrichtenagentur CNA berichtete. Es handele sich in dem zweistufigen Alarmsystem aber noch nicht um eine Einstufung für den «Ernstfall», sondern weiter um eine «normale Einsatzbereitschaft».
China nennt Pelosis Taiwan-Besuch «Spiel mit Feuer»
China protestierte in scharfer Form gegen den Besuch Pelosis. Das Aussenministerium in Peking sprach kurz nach der Landung der US-Politikerin am Dienstag in Taipeh von einem «sehr gefährlichen Spiel mit dem Feuer». China werde «alle notwendigen Massnahmen ergreifen, um die nationale Souveränität und territoriale Integrität zu verteidigen». Weiter hiess es: «Wer mit dem Feuer spielt, wird sich selbst verbrennen.»
Der Besuch sei eine «grosse politische Provokation», so das Aussenministerium am Dienstag weiter. «Die US-Seite versucht, China über Taiwan zu kontrollieren und das Ein-China-Prinzip auszuhöhlen.» Die Taiwan-Frage sei eine rein innere Angelegenheit Chinas, in die sich die USA nicht einmischen sollten.
Manöver mit Schiessübungen rund um Taiwan
Als Reaktion auf den Besuch Pelosis kündigte China ausserdem Manöver mit Schiessübungen in sechs Meeresgebieten rund um die demokratische Inselrepublik an. Wie das Verteidigungsministerium in Peking laut Staatsfernsehen mitteilte, beginnen die Manöver bereits an diesem Dienstag und sollen bis Sonntag dauern. Die Manöver dienten der «ernsten Abschreckung gegen die jüngste Eskalation durch negative Schritte der USA in der Taiwanfrage und eine ernste Warnung an die Unabhängigkeitskräfte, die eine Abspaltung wollen», sagte der Sprecher. Es gehe um die Abwehr «der Einmischung ausländischer Kräfte und separatistischer Versuche von Unabhängigkeitskräften in Taiwan».
Aufwertung für Taiwan – Rückschlag für China
Pelosis Besuch im Rahmen einer Asien-Reise war bis kurz zuvor nicht offiziell bestätigt worden. Am Mittwoch will die 82-Jährige nun Präsidentin Tsai Ing-wen treffen. Auch waren Gespräche im Parlament geplant, wie ein Abgeordneter der Deutschen Presse-Agentur berichtete. Der Besuch der Nummer Drei der USA – nach Präsident und Vizepräsidentin – gilt in Taiwan als willkommene Aufwertung. Zudem wird er als Rückschlag für Peking gewertet, das Taiwan international zu isolieren sucht.
Pelosis Flugzeug machte nach Medienberichten auf dem Weg von Malaysia einen Umweg um das von China weitgehend kontrollierte Südchinesische Meer, um östlich von den Philippinen kommend nach Taiwan zu fliegen. China hatte Gegenmassnahmen angekündigt und militärische Aktionen angedeutet. In Staatsmedien wurde sogar diskutiert, ob auch gegen ihr Flugzeug vorgegangen oder Raketentests unternommen werden könnten.
Pelosi sagt Taiwan Solidarität der USA zu
Pelosi sicherte Taiwan kurz nach ihrer Ankunft die weitere Unterstützung der USA zu. Ihr Besuch unterstreiche das «unerschütterliche Engagement der USA für die Unterstützung der lebendigen Demokratie in Taiwan», teilte Pelosi nach ihrer Landung mit. «Amerikas Solidarität mit den 23 Millionen Menschen in Taiwan ist heute wichtiger denn je, da die Welt vor der Wahl zwischen Autokratie und Demokratie steht.»
«Unsere Gespräche mit der taiwanesischen Führung werden sich darauf konzentrieren, unsere Unterstützung für unseren Partner zu bekräftigen und unsere gemeinsamen Interessen zu fördern, einschliesslich der Förderung einer freien und offenen indopazifischen Region», hiess es in der Mitteilung weiter. Die 82-Jährige betonte, ihr Besuch ändere nichts an der bisherigen China-Politik der Vereinigten Staaten. Auch die Regierung von US-Präsident Joe Biden hatte darauf verwiesen, dass Pelosis Aufenthalt nichts an der Ein-China-Politik der USA ändere.
Xi Jinping auf historischer Mission
Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping hatte US-Präsident Joe Biden in einem Telefonat am Donnerstag noch vor dem Besuch gewarnt: «Diejenigen, die mit dem Feuer spielen, werden daran zugrunde gehen.» Aus Sicht der chinesischen Führung gehört Taiwan zur Volksrepublik, obwohl es schon vor deren Gründung 1949 eigenständig regiert war. Die 23 Millionen Einwohner zählende Insel versteht sich auch schon lange als unabhängig. Chinas Präsident sieht es als seine «historische» Mission an, die «Vereinigung» zu erreichen und droht mit Eroberung.
Der Machtanspruch auf die Insel geht auf die Gründungsgeschichte der Volksrepublik zurück, was die grosse Bedeutung für die Kommunistische Partei erklärt. Am Ende des Bürgerkrieges gegen die Kommunisten war die nationalchinesische Kuomintang-Regierung mit ihren Truppen nach Taiwan geflüchtet, während die Kommunisten 1949 die Volksrepublik ausriefen. Die Insel hat wegen ihrer Lage an wirtschaftlich wichtigen Meeresstrassen geostrategische Bedeutung und wurde von US-Generälen früher auch gerne als «unsinkbarer Flugzeugträger» beschrieben.
USA warnen China vor Eskalation
Das Weisse Haus warnte Peking vor einer Eskalation. «Es gibt keinen Grund für Peking, einen möglichen Besuch, der im Einklang mit der langjährigen US-Politik steht, in eine Krise oder einen Konflikt zu verwandeln», sagte der Kommunikationsdirektor des Sicherheitsrats, John Kirby. Die USA würden sich nicht auf «Säbelrasseln» einlassen. «Gleichzeitig lassen wir uns aber auch nicht einschüchtern.»
Der Besuch ändert nach seinen Angaben auch «nichts» an der China-Politik der USA. So unterhalten die USA keine offiziellen diplomatischen Beziehungen zu Taiwan, sondern betrachten Peking als legitimen Vertreter Chinas. Der Besuch der Demokratin ist der höchste aus den USA seit der Visite ihres republikanischen Amtsvorgängers Newt Gingrich 1997. Damals – kurz vor der Rückgabe der britischen Kronkolonie Hongkong an China – fiel die chinesische Reaktion gemässigt aus. Gingrich war zuvor in Peking. (awp/mc/pg)