Barcelona / Madrid – Trotz einer Massendemonstration in Barcelona gegen die Abspaltung Kataloniens von Spanien hat Regionalregierungschef Carles Puigdemont seine Pläne für die Unabhängigkeit der Region bekräftigt. «Die Unabhängigkeitserklärung (…) ist im Referendumsgesetz vorgesehen. Wir werden das Gesetz befolgen», sagte Puigdemont am Sonntag in einem Interview des katalanischen Fernsehsenders TV3. Er bezog sich auf das Anfang September vom Regionalparlament in Barcelona verabschiedete Gesetz, das als rechtliche Grundlage für das Referendum am 1. Oktober gelten sollte, vor der Volksbefragung aber ebenso wie die Befragung selbst vom Verfassungsgericht für illegal erklärt worden war. Es wird erwartet, dass Puigdemont die Unabhängigkeit bei einer Rede am Dienstagabend im Parlament in Barcelona verkünden könnte.
Die Fronten in Katalonien verhärteten sich unterdessen zunehmend und die Atmosphäre war von wachsendem Nationalismus auf beiden Seiten geprägt. «Es ist wie auf der Titanic, wo das Orchester bis zum Untergang spielt», kommentierte der bekannte katalanische Journalist Joaquín Luna von der Zeitung «La Vanguardia» das unbeirrte Festhalten der Regionalregierung an ihrem Unabhängigkeitskurs. Der katalanische Nationalismus habe für einige der vehementesten Verfechter schon fast «religiösen» Status.
Zuvor hatte Spaniens konservativer Ministerpräsident Mariano Rajoy sich erneut unnachgiebig gezeigt. In einem Interview der Zeitung «El País» wies er alle Aufrufe zum Dialog mit den Separatisten scharf zurück, solange diese nicht auf die angestrebte Unabhängigkeit verzichteten. «Spanien wird nicht geteilt werden und die nationale Einheit wird erhalten bleiben», stellte er klar. «Wir werden alle uns zur Verfügung stehenden gesetzgeberischen Instrumente nutzen, um das sicherzustellen.» Er halte es nicht für ausgeschlossen, Artikel 155 der Verfassung anzuwenden, um Kataloniens Autonomie auszusetzen und die Region unter Verwaltung der Regierung in Madrid zu stellen.
Am Sonntag vor einer Woche hatte Puigdemont ungeachtet eines Verbots durch das Verfassungsgericht und gegen den Willen der Zentralregierung in Madrid ein Referendum über die Unabhängigkeit abhalten lassen. Bei der von den Gegnern der Abspaltung mehrheitlich boykottierten Befragung gewann das «Ja»-Lager mit rund 90 Prozent, die Beteiligung lag nur jedoch bei nur 43 Prozent. Dennoch reklamierte Puigdemont anschliessend, damit habe Katalonien das «Recht auf Unabhängigkeit» erlangt.
Massenproteste in Barcelona gegen Abspaltung
In Barcelona waren am Sonntag Hunderttausende Menschen gegen die Abspaltungspläne auf die Strasse gegangen. Auf ihrem Marsch durch das Zentrum der Regionalhauptstadt Barcelona skandierten die Demonstranten am Sonntag unter anderem «Ich bin Spanier» und «Viva España».
Der Chef der spanischen Linkspartei Podemos, Pablo Iglesias, warnte Puigdemont, auf keinen Fall bis zum Äussersten zu gehen. «Wir raten der katalanischen Regierung zur Vorsicht: Erklären Sie nicht einseitig die Unabhängigkeit!», sagte er der «Frankfurter Rundschau» (Montag). Wenn man das Terrain der politischen Auseinandersetzung verlasse, könne man sehr schnell auf das gefährliche Terrain der Verhaftungen, des Verbotes politischer Parteien, der Ausgangssperre, und der Versammlungsverbote geraten, sagte Iglesias.
Die Katalonienkrise löst auch zunehmend Sorge im Rest Europas aus. Der deutsche Europaabgeordnete und Aussenpolitikexperte Elmar Brok (CDU) griff die katalanische Regierung scharf an. Der «Schweriner Volkszeitung» (Montag) sagte er: «Dem reichen Barcelona geht es nur darum, die Solidarität mit anderen spanischen Regionen aufzukündigen.» Brok machte auf die Sprengkraft der Unabhängigkeitsbemühungen aufmerksam. Diese könnten die Abspaltungstendenzen in anderen EU-Ländern anheizen, etwa in Korsika oder in Südtirol.
Weniger dramatisch sieht der Historiker Walther Bernecker die Entwicklung. Puigdemont werde voraussichtlich auf eine einseitige Erklärung der Unabhängigkeit erst einmal verzichten. Stattdessen wäre denkbar, dass er am Dienstag eine Unabhängigkeit als Ziel für die Zukunft ausgeben werde, auf das er weiter hinarbeiten wolle, sagte der emeritierte Professor für Neuere Geschichte der Deutschen Presse-Agentur. «Damit hätte Puigdemont sein Gesicht gewahrt.» (awp/mc/ps)