Nur schon die Tatsache, dass die Coronaerkrankung des Präsidenten der Vereinigten Staaten Anlass zur Spekulation gibt, einiges davon könnte inszeniert sein, um eine Wahlniederlage abzuwenden zeigt, wohin Donald Trump sein Land und die Welt geführt hat: In moralisch zuvor unvorstellbare Abgründe, abseits aller Realpolitik.
Von Helmuth Fuchs
In einem bisherigen Tiefpunkt in der jüngeren Geschichte präsidialer Fernsehdebatten, gab der Moderator Donald Trump die Gelegenheit, sich von gewaltbereiten rechtsextremen und ultranationalistischen Gruppierungen wie den «Proud Boys» zu distanzieren. Die Antwort des Präsidenten “Proud Boys, stand back and stand by” (42:18 im Transkript) wurde von diesen als das gefeiert, was sie war: Ein direkten Aufruf, bereit zu sein, den Präsidenten im Falle einer Nichtwahl mit Gewalt an der Macht zu halten.
Die Reaktionen auf die Debatte lagen grössten Teils zwischen Befremden und Entsetzen darüber, was aus dem politischen (Selbst)Verständnis der USA geworden war. Die beiden Lager von Trump-Gegnern und -Unterstützer können sich auf praktisch kein einziges Thema mehr einigen. Trump hat aus allen sachpolitischen Themen die simple Frage gemacht, ob jemand für oder gegen ihn ist. Statt das Volk zu einen hat er es auf eine Weise gespalten, die noch Jahre über seine Amtszeit hinaus irrationalen Hass und Verachtung für politisch andere Gesinnungen nähren wird.
Statt Empathie Verdacht eines Machtpokers
Wie fundamental Trump in den letzten vier Jahren das Klima auf allen Ebenen vergiftet hat, zeigt sich für mich auch bei meiner persönlichen Reaktion. Statt Empathie kommt auch bei mir sogleich die Frage auf, «wie wird Donald Trump aus dieser Erkrankung Kapital schlagen, wie viel ist Fakt, was Inszenierung?». Und das ist für mich eine der erschreckendsten Erkenntnisse: Wie sehr Trump auch mein persönliches Verhalten negativ beeinflusst hat durch seinen hässlichen Politstil.
Als der Präsident über Twitter meldete, dass er und seine Gemahlin positiv getestet worden seien auf das Coronavirus, waren nebst der üblichen, oft ziemlich heuchlerischen «Gedanken und Gebeten» und «Wünsche zur schnellen Besserung» sofort auch Befürchtungen da, dass Einiges inszeniert sein könnte, um ihn an der Macht zu halten. Die Quarantäne bringt ihm in der Tat einige Vorteile:
- Nach der vor allem für ihn desaströsen Debatte verschafft er sich medial Luft, da das bestimmende Thema jetzt sein Gesundheitszustand ist. Einmal mehr werden statt sachpolitische Themen POTUS und FLOTUS ins Zentrum geschoben.
- Falls, wie es sich jetzt schon abzeichnet, er seine Geschäfte dank einem milden Verlauf aus dem Spital führen und nach zwei Wochen wieder normal aufnehmen kann, wird er wie Phoenix aus der Asche steigen und sich als Bezwinger der Krankheit und starken Mann inszenieren. Damit würde er Putin, mit nacktem Oberkörper auf einem Pferd reitend, locker in den Schatten stellen.
- Er kann auf die Beisshemmungen der Demokraten zählen, die ihn während der Zeit seines Spitalaufenthalts schonen werden gemäss ihrer von Michelle Obama geprägten Devise «when they go low, we go high».
- Er holt sich Mitleidspunkte bei einem grossen Segment von WählerInnen: Allen, die von Corona betroffen sind. Dies, obschon gerade er viel dafür getan hat, die Situation zu verschlimmern, indem er sie zuerst bewusst verniedlichte, um die boomende Wirtschaft nicht zu gefährden.
Auch die First Lady profitiert insofern, als sie jetzt mit gutem Grund eine grösstmögliche Distanz zu ihrem Gemahl einnehmen kann.
Auf dem Weg zur Genesung?
Donald Trump wollte sich bis anhin nicht dazu verpflichten, im Fall einer Wahlniederlage das Weisse Haus zu räumen, sondern biedert sich weiterhin bei gewaltbereiten rechten Milizen und nationalistischen Organisationen an und fordert diese auf, für alles bereit zu sein.
Vieles hängt davon ab, wie die Demokraten die Zeit nutzen, in welcher der amtierende Präsident keine Wahlveranstaltungen zu Verbreitung von Viren wie Hass, Ignoranz und Corona abhalten kann. Dies wird entscheiden, ob die Amerikaner, aber auch wir, es schaffen, uns wieder auf den Weg zu mehr Empathie, Gemeinsamkeit und sozialem Fortschritt zu machen. Bis dahin sind wir alle gemeinsam ans Krankenlager des Präsidenten gefesselt.