Das türkische Dorf Akcakale wenige Minuten nach dem syrischen Granatangriff.
Damaskus / Istanbul – Eskalation im Syrien-Konflikt: Wenige Stunden nach einem Granatenangriff auf ein türkisches Grenzdorf hat die türkische Armee am Mittwoch erstmals Ziele in dem vom Bürgerkrieg erschütterten Nachbarland angegriffen. Der Einsatz sei Reaktion auf eine Attacke syrischer Regierungstruppen, bei der fünf Türken getötet wurden, teilte das Büro des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan mit. Die mit Hilfe von Radargeräten identifizierten Angreifer seien von der Türkei aus mit Artillerie beschossen worden.
Die Nato beriet sich noch am Mittwochabend auf einer Krisensitzung in Brüssel mit der Lage. Es ging um Beratungen der ständigen Nato-Botschafter nach Artikel vier des Nato-Vertrags, berichteten Diplomaten. Der Artikel sieht Beratungen vor, wenn eines der Mitglieder die Unversehrtheit seines Gebiets als bedroht ansieht.
Granateinschläge in türkischem Dorf
In dem türkischen Dorf Akcakale waren nach türkischen Angaben mindestens drei aus Syrien abgefeuerte Granaten eingeschlagen, von denen eine vier Kinder und deren Mutter tötete. 13 weitere Menschen wurden verletzt, darunter mehrere Polizisten. Fernsehsender zeigten Dorfbewohner, die in Panik über die Strassen rannten oder Deckung suchten. Aussenminister Ahmet Davutoglu berief ein Krisentreffen ein und telefonierte mit dem UN-Sondergesandten für Syrien, Lakhdar Brahimi, und anderen Vertretern der internationalen Gemeinschaft.
Die Ortschaft Akcakale liegt unmittelbar an der Grenze zu Syrien und nahe des lange umkämpften Grenzübergangs Tell Abjad, den syrische Rebellen nach zweitägigen Gefechten eingenommen hatten.
Mehrere Anschlägen mit Autobomben
In den umkämpften syrischen Städten Aleppo und Deir as-Saur explodierten am Mittwoch insgesamt fünf Autobomben vor öffentlichen Gebäuden. Bei allen fünf Explosionen seien vor allem Angehörige der Regierungstruppen getötet worden, meldeten Aktivisten.
Die Organisation Syrischer Menschenrechtsbeobachter sprach von 48 Toten und etwa 100 Verletzten alleine in Aleppo. Die staatliche Nachrichtenagentur Sana meldete, 31 Menschen seien durch die ersten drei Autobomben getötet worden. Aus Deir as-Saur, wo eine in einem Kleinlaster versteckte Bombe direkt vor dem Gebäude der sogenannten Behörde für «Politische Sicherheit» explodierte, lagen keine Opferzahlen vor.
Hoher Blutzoll
Das syrische Fernsehen zeigte Bilder von Leichen und zerstörten Gebäuden im Stadtzentrum von Aleppo. Staatsmedien und die Opposition berichteten übereinstimmend, die ersten drei Sprengsätze seien vor dem Offiziersclub auf dem Saadallah-al-Dschabri-Platz in Aleppo explodiert. Auch ein daneben liegendes Hotel, das von der örtlichen Handelskammer genutzt wird, sei in Mitleidenschaft gezogen worden. Eine weitere Autobombe ging den Angaben zufolge in der Nähe des Gebäudes der Handelskammer an der Al-Mutanabbi-Strasse in die Luft. Insgesamt sollen am Mittwoch in Syrien landesweit 136 Menschen getötet worden sein.
Die Türkei hat seit Beginn des Bürgerkrieges im Nachbarland mehr als 93.000 syrische Flüchtlinge aufgenommen. Die Forderung Ankaras, eine Schutzzone für Vertriebene auf der syrischen Seite der Grenze einzurichten, hat international keine ausreichende Unterstützung erhalten. Die türkische Regierung sympathisiert mit den Assad-Gegnern. Versuchen der Konfliktparteien, die Türkei zu einem militärischen Eingreifen zu bewegen, hatte Ankara bisher widerstanden. (awp/mc/ps)