Hannover – Der weltgrösste Reisekonzern Tui wittert nach zwei verlustreichen Corona-Jahren wieder die Chance auf schwarze Zahlen. Die hohe Inflation und der drohende Wirtschaftsabschwung könnten die wiedererwachte Reiselust der Europäer dabei trüben. Der neue Konzernchef Sebastian Ebel will 2023 dennoch die Rückzahlung der Staatshilfen angehen, mit denen der Bund den Touristikriesen während der Corona-Pandemie vor dem Untergang bewahrt hatte. Die erwarteten Gewinne aus dem Reisegeschäft reichen dafür nicht aus. Jetzt sollen Aktionäre noch einmal frisches Geld in Milliardenhöhe zuschiessen. An der Börse ging es für Tui am Mittwochmorgen als Folge zeitweise um fast zehn Prozent abwärts.
Zuletzt wurde das Papier um die Mittagszeit zum Preis von 1,611 Euro gehandelt und damit noch rund sechs Prozent billiger als am Vorabend. Da hatte Tui nach Börsenschluss überraschend einen Plan zur Rückzahlung der verbliebenen Staatshilfen an den deutschen Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) veröffentlicht – und eine Zusammenlegung der Tui-Aktien sowie Kapitalerhöhungen angekündigt.
Nettoverlust deutlich rückläufig
Im abgelaufenen Geschäftsjahr bis Ende September schaffte es der Konzern unter dem Strich zwar noch nicht in die schwarzen Zahlen. Dank der deutlich gestiegenen Urlauberzahl schrumpfte der Nettoverlust jedoch um fast 90 Prozent auf 277 Millionen Euro, wie Tui am Mittwoch in Hannover mitteilte. Während der Umsatz mit 16,5 Milliarden Euro rund dreieinhalbmal so hoch ausfiel wie im Vorjahr, gelang dem Konzern vor Zinsen, Steuern und Sondereffekten ein operativer Gewinn (bereinigtes Ebit) von 409 Millionen Euro – nach einem Verlust von mehr als zwei Milliarden ein Jahr zuvor.
Schuldzinsen belasten
Dass es unter dem Strich nicht für schwarze Zahlen reichte, lag vor allem an den Zinsen für die in der Krise aufgehäuften Schulden. Die Finanzaufwendungen summierten sich im Geschäftsjahr auf mehr als eine halbe Milliarde Euro.
Vorstandschef Ebel zeigte sich allerdings zuversichtlich. «Der Sommer war stark», bilanzierte der Manager, der die Konzernführung Anfang Oktober vom langjährigen Tui-Chef Fritz Joussen übernommen hatte. In den wichtigsten Reisemonaten Juli bis September habe Tui 7,6 Millionen Urlauber gezählt – rund 93 Prozent des Vorkrisenniveaus.
Ebel zufolge gaben die Kunden im Schnitt fast ein Fünftel mehr für ihre Reisen aus als vor der Pandemie im Sommer 2019. Dies lag aber nicht an Preiserhöhungen in diesem Ausmass. Vielmehr hätten die Menschen im Durchschnitt deutlich längere Reisen gebucht und dabei vermehrt höherwertige Unterkünfte gewählt, sagte der Manager.
Vor-Pandemie-Niveau soll übertroffen werden
Für die kommenden Jahre nimmt sich Ebel weiterhin vor, das Niveau aus der Zeit vor der Pandemie deutlich zu übertreffen. Dabei will er sich auch an der Zahl der Urlauber messen lassen und nicht nur am Umsatz, der von der Inflation ohnehin in die Höhe getrieben wird. Der bereinigte operative Gewinn soll bis 2025 auf deutlich über 1,2 Milliarden Euro steigen.
Eine genaue Prognose für das laufende Geschäftsjahr 2022/23 traute sich die Tui-Spitze nicht zu. Der Umsatz soll stark wachsen, der bereinigte operative Gewinn signifikant steigen, erklärte der neue Finanzvorstand Mathias Kiep.
Ebel erwartet nach eigenen Angaben nicht, dass die Inflation und der drohende Wirtschaftsabschwung die Europäer im grösseren Mass vom Reisen abhalten. Der typische Kunde plane eine bestimmte Summe für seinen Urlaub ein – und schaue bei der Buchung, was er sich dafür leisten könne.
Positiver Trend für die Wintersaison
Der positive Trend zeigt sich auch in der laufenden Wintersaison. Die Buchungen seien stabil, der Wunsch nach Reisen gross, hiess es. Bisher habe der Konzern gut die Hälfte seines Winterprogramms verkauft, und die Kunden gäben im Schnitt 28 Prozent mehr für ihren Urlaub aus als im Winter 2018/19.
Rückzahlung von Staatshilfen
Die Anteilseigner schauen derzeit jedoch auf viel grössere Summen. Denn die Tui-Führung will die Rückzahlung der verbliebenen Staatshilfen aus der Corona-Krise angehen. Mit frischem Geld von Anteilseignern will der Konzern bis Ende 2023 die gewährten Hilfsgelder des Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) zurückzahlen. Dabei geht es den Angaben zufolge um mindestens 730 Millionen Euro plus Zinsen. Insgesamt könnten es bis zu 960 Millionen Euro werden, erklärte Finanzchef Kiep.
Eine ähnliche Summe brauche Tui nach seiner Einschätzung für die Rückführung der Kreditlinien der Staatsbank KfW. Zwar konnte der Konzern seine Nettoschulden auf Jahressicht bis Ende September von rund 5 Milliarden auf 3,4 Milliarden Euro senken. Doch im reiseschwachen Winter braucht er wieder verstärkt Kredite. Daher will der Vorstand seinen Kreditrahmen bei der KfW von derzeit 2,1 Milliarden Euro vorerst nur reduzieren und noch nicht ganz zurückgeben.
Wie viel Geld Tui im nächsten Jahr mit Kapitalerhöhungen von Aktionären einsammeln muss, wollte Kiep in einer Videokonferenz noch nicht genau beziffern. Eine Grössenordnung von 1,6 bis 1,8 Milliarden Euro wäre aus seiner Sicht aber realistisch.
Damit die Kapitalerhöhung und damit die Rückzahlung der Staatshilfen wie geplant gelingt, müssen die Aktionäre und die EU-Kommission zustimmen. Die Anteilseigner sollen auf der Hauptversammlung im Februar zunächst eine Kapitalherabsetzung von knapp 1,8 Milliarden auf nur noch 179 Millionen Euro beschliessen. Der Differenzbetrag bleibt im Konzern.
In diesem Zuge sollen die Tui-Aktien im Verhältnis zehn zu eins zusammengelegt werden – sprich: Wer vorher zehn Aktien besitzt, hat danach nur noch eine. Dadurch soll der Unterschied zwischen dem erwarteten Börsenkurs nach der Zusammenlegung und dem geringsten Ausgabebetrag von einem Euro deutlich vergrössert werden. (awp/mc/pg)