Für das Schweizer Stimmvolk waren die Wahlen zum Nationalrat demokratische Routine. In vielen Teilen der arabischen Welt dagegen sind freie Abstimmungen immer noch eine Premiere. Zehn Monate nach dem Sturz des Regimes unter Ex-Präsident Zine El-Abidine Ben Ali, der das Land 23 Jahre lang regierte und nach Saudi-Arabien floh, haben die Tunesier am Sonntag ebenfalls ein Parlament gewählt, zum ersten Mal überhaupt.
Run auf die Wahllokale
Nach Angaben der Wahlleitung und von ausländischen Wahlbeobachtern machten neun Zehntel der 4,1 Millionen registrierten Wähler von ihrem Stimmrecht Gebrauch. Die moderat-religiöse Partei Ennahda hat gute Aussichten, den grössten Stimmenanteil unter den über 100 politischen Gruppierungen zu gewinnen. Das amtliche Wahlergebnis wird nicht vor Dienstag erwartet.
Nach dem historischen Urnengang sollen die einzelnen Fraktionen eine demokratische Verfassung für das nordafrikanische Land ausarbeiten, das sich wirtschaftlich am schnellsten vom Arabischen Frühling erholen konnte. Tunesien gilt als relativ liberal innerhalb der Mena-Region. So haben beispielsweise Frauen das Recht auf Abtreibung. Westliche Urlauber schätzen Tunis und die Ferieninsel Dscherba, weil dort Alkohol serviert und französisch gesprochen wird.
Tunesier und Libyer vereint im Jubel
Parallel zum Urnengang in Tunesien feierten die Menschen in Libyen das offizielle Ende des neun Monate währenden Zivilkrieges, bei dem Rebellen mit Unterstützung von NATO, Golf-Kooperationsrat und der Organisation Islamischer Staaten (OIC) das Gaddafi-Regime nach vier Jahrzehnten Herrschaft vertreiben konnten. (mc/gaf)