Kiew – Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat seine Teilnahme am Nato-Gipfel in der litauischen Hauptstadt Vilnius offiziell bestätigt. Er sei unterwegs zum Treffen des Verteidigungsbündnisses, schrieb er am Dienstag auf Twitter. Er habe erfahren, dass es offenbar innerhalb der Allianz noch Diskussionen über Formulierungen und Bedingungen alleine für eine Einladung zur Mitgliedschaft der Ukraine gebe, klagte Selenskyj. Es gebe unter den Nato-Mitgliedern weiter keine Einigkeit über den zeitlichen Rahmen und die Bedingungen eines Beitritts der Ukraine. «Es sieht so aus, als ob es keine Bereitschaft gibt, die Ukraine in die Nato einzuladen oder sie zum Mitglied der Allianz zu machen», schrieb der Staatschef.
Das bedeute, dass die Mitgliedschaft der Ukraine bei zukünftigen Gesprächen mit Russland ein Verhandlungsgegenstand bleibe. «Für Russland ist das eine Motivation, seinen Terror weiter fortzusetzen», erklärte Selenskyj. Diese Unbestimmtheit sei ein Zeichen der Schwäche des Westens. «Und ich werde das auf dem Gipfel offen ansprechen», sagte er.
Selenskyj hatte seine Teilnahme an dem zweitägigen Gipfel, an dem unter anderem US-Präsident Joe Biden und Bundeskanzler Olaf Scholz teilnehmen, zuvor von festen Zusagen für den Nato-Beitritt seines Landes abhängig gemacht. Seit Monaten fordert die Ukraine konkrete Perspektiven für den Nato-Beitritt.
Zuletzt hatte sich Selenskyj diesbezüglich noch optimistisch gezeigt. «Auch wenn unterschiedliche Positionen geäussert werden, ist es immer noch offensichtlich, dass die Ukraine es verdient, im Bündnis zu sein. Nicht jetzt – jetzt ist der Krieg, aber wir brauchen ein klares Signal», sagte Selenskyj in seiner am Montagabend verbreiteten täglichen Videobotschaft. «Die Mehrheit der Allianz ist eindeutig für uns.» Das müsse der Gipfel in Vilnius an diesem Dienstag und Mittwoch bestätigen, forderte er.
Ziel des Nato-Beitritts in Verfassung verankert
Nach dem Zerfall der Sowjetunion hatte sich die Ukraine ursprünglich als blockfreier Staat deklariert, doch mit der von Kiew unterstützten Erweiterung der Nato in Osteuropa entwickelte sich auch dort der Wunsch zum Beitritt. Beim Gipfel der Militärallianz 2008 in Bukarest hatten Deutschland und Frankreich sich zwar gegen eine Mitgliedschaft der Ukraine ausgesprochen. Dennoch wurde dem Land eine Beitrittsperspektive gewährt. Seit 2019 hat Kiew das Ziel des Nato-Beitritts in der Verfassung verankert.
Russland hat den 2022 begonnenen Angriffskrieg gegen das Nachbarland auch immer wieder damit gerechtfertigt, den Nato-Beitritt der Ukraine zur eigenen Sicherheit verhindern zu müssen. Zumindest bei den Ukrainern hat Moskau damit das Gegenteil erreicht. Jüngsten Umfragen zufolge wird der lange umstrittene Beitritt zur Militärallianz inzwischen von 89 Prozent der Bevölkerung unterstützt. Selbst im als eher prorussisch geltenden Osten der Ukraine sind 79 Prozent dafür und nur 16 dagegen.
Russland bleibt hingegen bei seiner scharfen Ablehnung eines Beitritts. Ein beschleunigter Beitritt der Ukraine zur Nato birgt nach Darstellung des Kremls hohe Sicherheitsrisiken für Europa. «Potenziell ist das sehr gefährlich für die europäische Sicherheit», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Dienstag der Nachrichtenagentur Interfax zufolge. (awp/mc/ps)