Kiew – Nach den verheerenden russischen Angriffen auf Häfen am Schwarzen Meer hat Kiew weitere Hilfe bei der Luftverteidigung gefordert. «Bei jedem solchen Angriff appellieren wir immer wieder an unsere Partner: Die ukrainische Luftverteidigung muss gestärkt werden», sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache am Mittwoch. Die südukrainische Region Odessa geriet unterdessen in der Nacht zum Donnerstag erneut unter Beschuss.
Moskau droht nach der Aufkündigung des Getreide-Abkommens nun auch zivilen Schiffen im Schwarzen Meer. Und Kremlchef Wladimir Putin stellt eine mögliche Wiederaufnahme der Vereinbarung nur unter russischen Bedingungen in Aussicht.
Ein Treffen der EU-Aussenminister am Donnerstagmorgen lässt die Ukraine unterdessen auf neue weitreichende Unterstützungszusagen der Europäischen Union hoffen. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur hat der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell vorgeschlagen, Kiew eine deutliche Ausweitung des militärischen Ausbildungsprogramms für die ukrainischen Streitkräfte zuzusichern. Die Ukraine verteidigt sich seit fast 17 Monaten gegen den russischen Angriffskrieg.
Odessa dritte Nacht in Folge unter Beschuss
Die Region Odessa im Süden der Ukraine ist die dritte Nacht in Folge unter Beschuss geraten. In der Nacht zum Donnerstag waren lokalen Medienberichten zufolge wieder Explosionen in der Nähe des Hafens von Odessa zu hören. Die Luftverteidigung sei aktiv gewesen. Die ukrainische Luftwaffe warnte bei Telegram, es seien Abschüsse von Überschall-Schiffsabwehrraketen in Richtung der Region Odessa registriert worden. Sie rief die Menschen auf, in Deckung zu bleiben. Bereits in den beiden vorangegangenen Nächten hatte Russland die Region Odessa am Schwarzen Meer mit Luftangriffen überzogen.
Angriffe gab es auch auf das Zentrum der südukrainischen Stadt Mykolajiw. Dabei wurden mindestens sieben Menschen verletzt, darunter auch drei Kinder. In der Stadt seien ein dreistöckiges Wohngebäude sowie mehrere Garagen in Brand geraten, berichtete das Internetportal «Ukrajinska Prawda» unter Berufung auf den Leiter der lokalen Militärverwaltung und den Bürgermeister.
Selenskyj: Nicht nur Ukraine leidet unter Angriffen auf Häfen
Selenskyj betonte am Mittwochabend, dass unter Angriffen auf Schwarzmeer-Häfen nicht nur die Ukraine leide, sondern auch Länder in Afrika und Asien, die auf Lieferungen von Nahrungsmitteln warteten.
Russland, das am vergangenen Montag trotz grosser Kritik ein international vermitteltes Getreide-Abkommen mit der Ukraine auslaufen liess, hatte in den vergangenen Nächten gezielt die Hafenregion Odessa bombardiert. Durch den Beschuss wurden dort ukrainischen Angaben zufolge zuletzt rund 60 000 Tonnen Getreide vernichtet. Selenskyj sprach vom «womöglich grössten Versuch Russlands seit Beginn des gross angelegten Krieges, Odessa Schaden zuzufügen».
Russland droht Schiffen im Schwarzen Meer
Während Kiew auf eine Zukunft des Getreide-Abkommens auch ohne russische Zustimmung hofft, kamen aus Moskau neue Drohgebärden: Seit der Nacht zum Donnerstag sieht Russland eigenen Angaben zufolge Schiffe, die ukrainische Häfen ansteuern, als «potenzielle Träger militärischer Fracht» an. Es sei eine Warnung an die Schifffahrt herausgegeben worden im Zusammenhang mit dem Ende der Schwarzmeer-Initiative. Demnach seien Bereiche des Nordwestens und des Südostens der internationalen Gewässer des Schwarzen Meeres als gefährlich für die Schifffahrt eingestuft worden.
Putin: Rückkehr zu Getreide-Abkommen nur unter Moskaus Bedingungen
Kremlchef Putin schloss unterdessen eine Wiederaufnahme der wichtigen Vereinbarung nicht aus – allerdings nur unter russischen Bedingungen. Moskau sei vom Westen ursprünglich die Erfüllung mehrerer Forderungen zugesichert worden, sagte Putin der Agentur Interfax zufolge bei einem Treffen mit Regierungsvertretern. «Sobald alle diese Bedingungen, auf die wir uns früher geeinigt haben, erfüllt sind (…), werden wir sofort zu diesem Abkommen zurückkehren.»
Russland hatte die Vereinbarung am vergangenen Montag unter grossem internationalen Protest für beendet erklärt. Moskau behauptet, westliche Staaten hätten angeblich die zugesicherten Erleichterungen für russische Dünge- und Nahrungsmittelexporte nicht ausreichend umgesetzt. International hingegen steht Russland in der Kritik, Hunger als Waffe einzusetzen. Die ukrainischen Getreide-Exporte sind gerade für ärmere Länder im globalen Süden wichtig.
USA kündigen weitere Militärhilfe für Ukraine in Milliardenhöhe an
Die US-Regierung kündigte derweil neue militärische Hilfe für die Ukraine im Wert von 1,3 Milliarden US-Dollar (rund 1,16 Milliarden Euro) an. Damit soll insbesondere die Verteidigung des ukrainischen Luftraums gestärkt und der Bedarf an Munition gedeckt werden, wie das Pentagon mitteilte. Die neue Ausrüstung wird den Angaben zufolge bei der Industrie beschafft und nicht von Beständen des US-Militärs bezogen. In dem Paket enthalten sind demnach unter anderem vier Nasams-Luftabwehrsysteme, Drohnen sowie Ausrüstung zur Drohnenabwehr, 150 Tanklaster, 115 Transportfahrzeuge und Munition.
Was am Donnerstag wichtig wird
Die Ukraine kann auch auf neue weitreichende Unterstützungszusagen der Europäischen Union hoffen. Nach dpa-Informationen hat EU-Chefdiplomat Borrell zu einem Aussenministertreffen an diesem Donnerstag (10.00 Uhr) vorgeschlagen, der Regierung in Kiew eine deutliche Ausweitung des militärischen Ausbildungsprogramms für die ukrainischen Streitkräfte zuzusichern. Wenn die Umstände es zulassen, könnte demnach sogar eine schrittweise Verlagerung der Trainingsaktivitäten in die Ukraine in Betracht gezogen werden.
Zudem empfiehlt Borrell, weitere Milliardensummen für die Lieferung von Waffen und Ausrüstung bereitzustellen. Konkret will der Spanier unter anderem zusagen, dass sich die EU auch an Kosten für die Bereitstellung von modernen Kampfjets beteiligt. (awp/mc/ps)