Ukraine-Krieg: Westen erhöht Druck auf Russland

Ukraine-Krieg: Westen erhöht Druck auf Russland

Kiew – Wegen der Kriegsgräuel in der Ukraine erhöht der Westen den Druck auf Russland. Die EU-Staaten berieten am Mittwoch den Vorschlag eines Importstopps für russische Kohle und weitere Strafmassnahmen. Als möglicher nächster Schritt gilt in Brüssel ein Ölembargo. Die USA planen in einem nächsten Sanktionspaket ein Investitionsverbot. Zur Debatte stehen auch weitere Waffenlieferungen an die Ukraine. Denn Präsident Wolodymyr Selenskyj fordert immer ungeduldiger Unterstützung gegen die russischen Angreifer.

Hintergrund ist die Entdeckung möglicher Kriegsverbrechen nach dem Abzug russischer Truppen aus der Umgebung der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Vor allem die Bilder von Leichen auf den Strassen des Vororts Butscha sorgen international für Entsetzen. Die Ukraine macht russische Truppen für die Gräuel verantwortlich. Moskau bestreitet die Vorwürfe und spricht von einer Inszenierung, allerdings ohne Beweise oder Belege.

Zeitung veröffentlicht Videoaufnahme
Die «New York Times» veröffentlichte in der Nacht von ihr verifizierte Videoaufnahmen, die tödliche Schüsse russischer Soldaten auf einen Zivilisten in Butscha belegen sollen. Das ukrainische Video stamme von Ende Februar, also kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine. Die Militärverwaltung von Homostel – eines Nachbarorts von Butscha – erklärte laut lokalen Medien, dort würden nach der russischen Besatzung rund 400 Bewohner vermisst.

Aus Sicht der US-Regierung sind die Untaten von Butscha womöglich nur «die Spitze des Eisbergs». In Gebieten in der Ukraine, zu denen es noch keinen Zugang gebe, hätten russische Truppen «wahrscheinlich auch Gräueltaten begangen», sagte Regierungssprecherin Jen Psaki. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach im Europaparlament mit Blick auf Butscha von Kriegsverbrechen.

Sie hatte am Dienstag eine Reise nach Kiew und ein neues Sanktionspaket angekündigt. Erstmals soll ein Teil der Energielieferungen aus Russland boykottiert werden: Steinkohle. Wann und wie der Importstopp umgesetzt wird, war am Mittwoch Thema der ständigen Vertreter der EU-Staaten in Brüssel. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) soll am Nachmittag vom Bundestag befragt werden. Abends kommen die Nato-Aussenminister in Brüssel zusammen.

Erst Kohle, dann Öl und sogar Gas?
Die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Katarina Barley, zeigte sich aber schon morgens im ZDF sicher, dass der Importstopp für Kohle komme. Ein Embargo gegen Öl werde «relativ schnell» folgen. Ähnlich äusserte sich von der Leyen: «Wir haben jetzt Kohle verboten, aber jetzt müssen wir uns Öl anschauen und auch die Einnahmen, die Russland mit den fossilen Brennstoffen erzielt.» EU-Ratschef Charles Michel ergänzte: «Ich denke, dass Massnahmen zu Öl oder sogar Gas früher oder später gebraucht werden.»

35 Milliarden für Energie an Putin seit Kriegsbeginn
Aus der Europäischen Union sind nach Angaben ihres Aussenbeauftragten Josep Borrell seit Kriegsbeginn 35 Milliarden Euro für Energieimporte nach Russland geflossen. Dies zeige, wie wichtig es sei, die Abhängigkeit der EU von Energieimporten zu reduzieren, sagte der Spanier am Mittwoch im Strassburger Europaparlament. Dies müsse über den Ausbau erneuerbarer Energien geschehen. Das Vorgehen gegen den Klimawandel gehe nun Hand in Hand mit der Geopolitik.

Die USA bewilligten der Ukraine weitere 100 Millionen Dollar für Waffen, wie Aussenminister Antony Blinken mitteilte. Seit Anfang vergangenen Jahres haben sich die US-Hilfen für Kiew bereits auf 2,4 Milliarden Dollar summiert. Mit Blick auf neue Strafmassnahmen sprach Regierungssprecherin Psaki von einem Verbot aller neuen Investitionen in Russland. Zudem sollen Sanktionen gegen russische Banken und staatliche Unternehmen verschärft und weitere Personen aus der russischen Führung mit Strafmassnahmen belegt werden. Dies werde mit den Partnern in Europa und den übrigen Staaten der G7-Gruppe eng abgestimmt.

Wieder Explosionen in Lwiw
Nach dem Rückzug russischer Truppen aus der Nordukraine wird eine neue Offensive im Osten des Landes befürchtet – dort sind die beiden seit 2014 umstrittenen prorussischen «Volksrepubliken» Luhansk und Donezk. Heftig umkämpft bleiben auch Städte im Süden, vor allem die seit Wochen belagerte Hafenstadt Mariupol. Dort sind nach britischen Angaben immer noch 160 000 Menschen. Die humanitäre Lage verschlechtere sich, meldete das britische Verteidigungsministerium auf Twitter.

Das russische Verteidigungsministerium teilte mit, man habe in der Ukraine ein Flugabwehrraketensystem vom Typ Osa, fünf Munitions- und Treibstofflager sowie elf Militärstützpunkte der ukrainischen Armee zerstört. Insgesamt habe die russische Armee 24 militärische Ziele im Nachbarland getroffen. Diese Angaben konnten nicht unabhängig überprüft werden. Die Ukraine bestätigte aber Raketeneinschläge in den Gebieten Lwiw, Winnyzja und Dnipro. Auch die ostukrainische Grossstadt Charkiw war nach Behördenangaben wieder Ziel russischer Attacken. Es habe 27 Angriffe mit verschiedenen Waffen gegeben.

Erneut wurde nach ukrainischen Angaben versucht, Fluchtkorridore für Menschen aus umkämpften Städten einzurichten. Aus Mariupol soll ein Weg für Privatfahrzeuge in Richtung der Stadt Saporischschja führen, wie Vizeregierungschefin Irina Wereschtschuk mitteilte. Aus der Stadt Berdjansk und weiteren Orten in der Ostukraine sollten Zivilisten mit Bussen abgeholt werden.

Die Routen werden für jeden Tag neu angekündigt. Russland und die Ukraine werfen sich immer wieder gegenseitig vor, die Evakuierung zu sabotieren. (awp/mc/pg)

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