Nato-Staaten wollen Ukraine keine Panzer und Kampfjets liefern

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.

Brüssel / Kiew – Die 30 Nato-Staaten wollen trotz eindringlicher Appelle des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj keine Panzer oder Flugzeuge für den Kampf gegen die russischen Angreifer liefern. «Es gibt eine Grenze, die darin besteht, nicht Kriegspartei zu werden», sagte der französische Präsident Emmanuel Macron am Donnerstag nach einem Sondergipfel des Bündnisses zum Ukraine-Konflikt in Brüssel. Diese Grenze werde von allen Alliierten geteilt und deswegen liefere bislang niemand Panzer und Flugzeuge. Zur Verfügung gestellt würden dagegen weiter Boden-Luft-Raketen und Panzerabwehrwaffen.

Auch der deutsche Kanzler Olaf Scholz machte der Ukraine keine Hoffnungen auf die Lieferung schwerer Waffen. Er sagte bei einer Pressekonferenz lediglich, dass jeden Tag neu geprüft werde, welche Entscheidungen man diesbezüglich treffen wolle.

Selenskyjs Bitten verhallen
Selenskyj hatte den Nato-Sondergipfel zuvor für einen verzweifelten Ruf nach Panzern und Flugzeugen genutzt. «Sie haben mehr als 20’000 Panzer. Die Ukraine hat um ein Prozent gebeten», sagte der per Video zugeschaltete Staatschef zu US-Präsident Joe Biden und den anderen Staats- und Regierungschefs. Er forderte zudem ein Prozent aller Kampfflugzeuge der 30 Nato-Staaten.

Sein Land würde für die Panzer und Jets auch bezahlen – doch es gebe keine Antwort auf die Anfrage, beklagte sich Selenskyj. «Das Schlimmste während des Krieges ist es, keine klaren Antworten auf die Bitten um Hilfe zu bekommen.» Der Ukrainer betonte: «Die Ukraine wollte diesen Krieg nie. Und wir wollen nicht über Jahre kämpfen. Wir wollen einfach nur unsere Menschen retten. Wir wollen überleben.»

Östliche Allierte unterstützen Selenskjs Bitten
Offene Unterstützung für seine weitreichenden Forderungen gab es allerdings nur von östlichen Alliierten. «Diejenigen Staaten, die Panzer und Flugzeuge haben, können auch Panzer und Flugzeuge abgeben», sagte Estlands Ministerpräsidentin Kaja Kallas am Rande des Gipfels der Deutschen Presse-Agentur. «Wenn Länder mit 80 Millionen Einwohnern kleinere Mengen geben als wir mit 1,3 Millionen, dann können die grossen Länder mehr tun, um der Ukraine zu helfen.»

Angst vor Einsatz chemischer Waffen
Thema bei dem Nato-Sondergipfel waren zudem Befürchtungen, dass Russland angesichts schleppender Fortschritte im Krieg gegen die Ukraine versucht sein könnte, Massenvernichtungswaffen einzusetzen. Als Hinweis darauf werden auch unbelegte Vorwürfe gegen die Ukraine und Nato-Staaten gewertet, selbst einen Einsatz chemischer und biologischer Waffen vorzubereiten. «Wir haben schon einmal erlebt, dass diese Art, andere zu beschuldigen, eigentlich ein Mittel ist, um einen Vorwand zu schaffen, das Gleiche selbst zu tun», sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.

Seinen Angaben zufolge rüstet sich die Nato deswegen derzeit verstärkt auch gegen chemische, biologische und atomare Gefahren. Der Oberbefehlshaber der Nato-Streitkräfte in Europa, Tod D. Wolters, hat dazu Bündniseinheiten zur Abwehr dieser Bedrohungen in Alarmbereitschaft versetzt, die bei der schnellen Eingreiftruppe NRF angesiedelt sind. Die chemischen Kampfstoffe könnten sich nach einem Einsatz in der Ukraine dann auch auf Nato-Territorium ausbreiten, warnte Stoltenberg. Es gebe immer das Risiko der Kontamination, der Ausbreitung über grössere Gebiete.

Nato will Abschreckungs- und Verteidigungsdispositiv stärken
Längerfristig will die Nato mit massiver Aufrüstung auf die aggressive Politik von Russland Präsident Wladimir Putin reagieren. Angesichts «der seit Jahrzehnten schwerwiegendsten Bedrohung für die euro-atlantische Sicherheit» werde man das Abschreckungs- und Verteidigungsdispositiv erheblich stärken und das gesamte Spektrum an einsatzbereiten Streitkräften und Fähigkeiten weiterentwickeln, heisst es in der Gipfelerklärung.

Scholz erklärte die grundsätzliche Bereitschaft Deutschlands, noch mehr für die Stärkung der Ostflanke des Bündnisses zu tun. Er verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass Bundeswehrsoldaten schon jetzt in Litauen und Rumänien stationiert seien. Zudem würden gerade Flugabwehr-Einheiten in die Slowakei verlegt. «Wir sind auch bereit, über andere Dinge zu diskutieren, wenn wir denn gefragt werden», sagte Scholz.

US-Präsident Biden zeigte sich am Abend zufrieden mit dem Verlauf des Gipfels. «Die Nato war noch nie so geeint wie heute. Putin hat mit dem Einmarsch in die Ukraine genau das Gegenteil von dem erreicht, was er erreichen wollte», sagte er. Die gleiche Geschlossenheit sei mit der Europäischen Union und der Gruppe der sieben führenden demokratischen Wirtschaftsmächte (G7) erreicht worden. (awp/mc/pg)

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