Rebellen wohl für Abschuss von Flug MH017 verantwortlich
US-Präsident Barack Obama. (Official White House Photo by Amanda Lucidon)
Washington – Prorussische Separatisten in der Ostukraine haben nach Erkenntnissen der USA sehr wahrscheinlich den malaysischen Passagierjet mit 298 Menschen an Bord abgeschossen. US-Präsident Barack Obama erklärte am Abend, die Rakete sei aus einem Gebiet abgefeuert worden, das von den Separatisten kontrolliert wird. Er forderte die Konfliktparteien angesichts dieser «globalen Tragödie» zu einer sofortigen Waffenruhe auf. Russland wies alle Vorwürfe zurück und machte zugleich die Führung in Kiew mitverantwortlich.
Der US-Präsident wies Moskau indirekt eine Mitverantwortung zu. «Das war kein Unfall. Das passiert wegen russischer Unterstützung», sagte Obama. Ohne diese sei es den Separatisten nicht möglich, «so zu funktionieren, wie sie funktionieren». Direkte Anschuldigungen gegen Kremlchef Wladimir Putin vermied Obama jedoch. Man dürfe keine voreiligen Schlüsse ziehen.
Russland weist Anschuldigungen zurück
Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Samantha Power, hatte zuvor eine Verstrickung Russlands in den Abschuss von Flug MH017 angedeutet. «Wir können nicht ausschliessen, dass russisches Personal beim Betrieb dieser Systeme geholfen hat», sagte Powers dem UN-Sicherheitsrat in New York bei einer kurzfristig einberufenen Sondersitzung. Russland wies die Vorwürfe zurück. «Wir verweisen alle Schuld an die Regierung in Kiew», sagte Moskaus UN-Botschafter Vitali Tschurkin.
Alle 283 Passagiere und 15 Besatzungsmitglieder der Malaysia- Airlines-Boeing waren am Donnerstag ums Leben gekommen. 189 der Todesopfer kommen aus den Niederlanden. Alle betroffenen Länder fordern eine umfassende Überprüfung der Tragödie. Auch Obama verlangte eine «glaubwürdige internationale Untersuchung». Ermittler dürften dabei nicht behindert werden, sagte Obama in Washington.
Ukraine: «Spur führt nach Russland»
Nach Angaben der prowestlichen Führung der Ukraine haben die Separatisten keine Raketenflugabwehrsysteme vom Typ «Buk» für den Abschuss von Flugzeugen in ihrem Besitz. Aus Sicht der Ukraine führt die Spur deshalb nach Russland. Aus Moskau kam umgehend das Dementi. Russland habe weder das Flugabwehrsystem noch sonstiges Kriegsgerät in das Nachbarland geschafft, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums.
Die Boeing 777-200 der Malaysia Airlines kann nach Ansicht von US-Experten nur von einer hoch komplexen Waffe getroffen worden sein. Wie die Zeitung «Wall Street Journal» am Freitag schrieb, reichten tragbare Raketen, die von der Schulter abgefeuert werden, nicht aus, ein Verkehrsflugzeug in 10 000 Metern Höhe zu treffen.
Putin ruft zu Ende der Kampfhandlungen auf
Angesichts der Tragödie rief Russlands Präsident Wladimir Putin die Konfliktparteien in der Ukraine zu einem Ende der Kampfhandlungen auf. Sie sollten «so schnell wie möglich direkte Kontakte aufnehmen», sagte Putin bei einem Treffen mit dem russisch-orthodoxen Patriarchen Kirill. Zuvor hatte er der Ukraine indirekt die Schuld am Absturz zugewiesen.
Kanzlerin Angela Merkel telefonierte am Freitag mit dem ukrainischen Präsidenten Poroschenko, dem niederländischen Regierungschef Mark Rutte und ihrem polnischen Kollegen Donald Tusk. Alle Gesprächsteilnehmer waren sich einig, dass die Tragödie umgehend und gründlich durch eine unabhängige Untersuchung aufzuklären sei, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Sollten sich die Hinweise auf einen Abschuss bewahrheiten, stelle dies eine weitere schwere Eskalation des Konflikts dar.
181 Opfer geborgen
Nach jüngsten Angaben aus Malaysia kamen neben Niederländern und Deutschen auch 44 Malaysier, 27 Australier, 12 Indonesier, 10 Briten, 4 Belgier, 4 Deutsche, 3 Philippiner, 1 Kanadier und 1 Neuseeländer ums Leben. Noch sei nicht bei allen Getöteten die Nationalität festgestellt worden, teilte die Fluglinie mit. Rettungskräfte bargen bis Freitag 181 Opfer, wie das Aussenministerium in Kiew mitteilte.
Widersprüchliche Angaben
Nach Angaben des Innenministeriums in Kiew wurden die sterblichen Überreste der Passagiere nach Charkow gebracht. In der etwa 300 Kilometer von der Absturzstelle entfernten Stadt werde ein Labor zur Identifizierung eingerichtet, hiess es. Separatisten wiederum kündigten an, die Leichen würden in Mariupol identifiziert.
Wo sind die Flugschreiber?
Am Freitag wurden zwei Flugschreiber sichergestellt, teilte ein Sprecher der regierungstreuen Gebietsverwaltung von Donezk mit. Es blieb aber unklar, wo sich die Geräte befinden.
OSZE-Experten an der Unfallstelle
An der Absturzstelle nahe der Ortschaft Grabowo trafen am Freitag Experten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ein. Die Führung der Separatisten hatte ihnen freien Zugang zum Unglücksort zugesichert. Die Beobachter sollen über die Situation dort berichten, sagte eine OSZE-Sprecherin in Wien. «Wir sorgen bedingungslos für die Sicherheit vor Ort in diesem Gebiet», sagte der «Vize-Regierungschef» der Separatisten, Andrej Purgin, nach Angaben der Agentur Interfax. Von einer Feuerpause, wie ursprünglich von den Separatisten angekündigt, könne nicht gesprochen werden.
Kämpfe dauern an
Abseits der Entwicklung um den Flugzeugabsturz dauerten die Gefechte in dem Konfliktgebiet an. Bei Kämpfen in Lugansk seien allein am Freitag mehr als 20 Zivilisten getötet worden, teilte die Stadtverwaltung mit. In Lissitschansk bei Lugansk geriet nach Artilleriebeschuss eine Raffinerie in Brand. Nach dem Beschuss eines Umspannwerks in Lugansk sei in 85 Prozent der Grossstadt der Strom ausgefallen, hiess es. (awp/mc/pg)
(awp/mc/upd/pg)