Ukraine kann auf neue Munition hoffen
Kiew / Prag – Die unter Munitionsmangel leidenden Streitkräfte der Ukraine können dank einer tschechischen Initiative auf mehrere Hunderttausend Artilleriegranaten hoffen. Nach längerem Zögern schloss sich auch Frankreich der Idee an, 800’000 Geschosse aus Ländern ausserhalb der EU zu beschaffen. Das Vorhaben sei sehr nützlich und man werde sich daran beteiligen, sagte der französische Präsident Emmanuel Macron am Dienstag in Prag, wo er seinen tschechischen Kollegen Petr Pavel traf.
Wegen fehlender Geschosse war die ukrainische Armee, die seit zwei Jahren eine russische Invasion abwehrt, in den vergangenen Wochen zunehmend in die Defensive geraten. Russland hingegen hat seine eigene Rüstungsproduktion gesteigert und bekommt auch Munition aus Nordkorea oder dem Iran.
Im Osten und Süden der Ukraine herrschte in der Nacht auf Mittwoch erneut Luftalarm. Die ukrainische Luftwaffe warnte vor anfliegenden russischen Kampfdrohnen. In der Hafenstadt Odessa waren Medienberichten zufolge Explosionen zu hören.
Tschechien treibt 800’000 Artilleriegeschosse auf
Der tschechische Präsident und frühere Nato-General Pavel hatte im Februar bei der Münchner Sicherheitskonferenz gesagt, man habe im Ausland rund eine halbe Million Schuss vom Kaliber 155 mm und 300’000 Schuss vom Kaliber 122 mm aufgetan. Sie könnten binnen weniger Wochen geliefert werden, wenn die Finanzierung gesichert sei. Spekulationen zufolge könnte die Munition aus Ländern wie Südkorea, Südafrika und der Türkei stammen. Die tschechische Initiative gilt als Reaktion darauf, dass ein EU-Plan zur Lieferung von einer Million Schuss an die Ukraine ins Stocken geraten ist.
Vor Frankreich hatten unter anderem die Niederlande, Belgien, Kanada, Dänemark und Litauen Geld zugesagt. Die Initiative sehe vor, Munition überall dort zu suchen, wo sie verfügbar ist, erläuterte Macron. Das Projekt könne bilateral oder auch über die sogenannte Europäische Friedensfazilität finanziert werden – letzteres hatte Frankreich bisher abgelehnt. Die Europäische Friedensfazilität ist ein EU-Finanzierungsinstrument, das vor Beginn des Ukraine-Kriegs zur militärischen Unterstützung von Partnerländern geschaffen worden ist.
Macron warnt vor «Geist der Niederlage»
Macron warnte in Prag vor einem allzu defensiven Blick auf den russischen Angriffskrieg. «Wenn wir jeden Tag erklären, was unsere Grenzen gegenüber jemandem sind, der gar keine hat und diesen Krieg angezettelt hat, kann ich Ihnen schon sagen, dass der Geist der Niederlage sich einschleift», sagte der französische Staatschef. «Ich glaube, es ist absolut notwendig, dass wir erklären, dass wir uns selbst keine Einschränkungen setzen werden», verteidigte Macron seine umstrittene Aussage der letzten Woche, den Einsatz von Bodentruppen in der Ukraine nicht auszuschliessen. Er betonte aber auch erneut, dass er keine Eskalation wünsche.
Der Vorstellung von Bodentruppen aus Nato-Ländern in der Ukraine hatte vor allem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) scharf widersprochen. Diese Unstimmigkeit dürfte auch bei dem Treffen zwischen Baerbock und Séjourné in Paris eine Rolle gespielt haben. Baerbock schrieb im Anschluss an die Zusammenkunft auf dem Portal X (früher Twitter): «Geschlossen und entschlossen: Gemeinsam sind wir stark.»
Selenskyj lobt ukrainische Treffer in der Luft und zu Wasser
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj lobte derweil Erfolge seiner Streitkräfte im Kampf gegen russische Kampfflugzeuge und Kriegsschiffe. «Die Ukraine hat bewiesen, wozu wir fähig sind, was wir erreichen können», sagte der Staatschef in einer Videoansprache. Die Zahl der in jüngster Zeit abgeschossenen russischen Kampfflugzeuge belege dies. Die Ukraine nimmt für sich in Anspruch, mehrere Kampfjets vom Typ Su-24 sowie russische Aufklärungsflugzeuge ausgeschaltet zu haben.
«Es gibt im Schwarzen Meer keine sicheren Häfen mehr für russische Terroristen, und es wird auch nie mehr welche geben», sagte Selenskyj zur Lage im Seekrieg. In der Nacht auf Dienstag hatten nach Angaben aus Kiew ukrainische Seedrohnen vor dem Krim-Hafen Feodossija das russische schwere Patrouillenboot «Sergej Kotow» versenkt. Russland hat bereits zahlreiche Schiffe seiner Schwarzmeerflotte verloren.
Weltstrafgericht erlässt Haftbefehl gegen russische Kommandeure
Der Internationale Strafgerichtshof hat gegen zwei hohe russische Offiziere Haftbefehle wegen mutmasslicher Kriegsverbrechen in der Ukraine erlassen. Generalleutnant Sergej Kobylasch und Admiral Viktor Sokolow würden wegen gezielter Raketenangriffe auf zivile Ziele in der Ukraine vom Oktober 2022 bis mindestens März 2023 gesucht, teilte das Gericht in Den Haag mit. Kobylasch (58) ist nach Angaben des Gerichts Generalleutnant und Kommandeur der Fernfliegerkräfte der russischen Luftwaffe. Sokolow (61) ist Admiral der Marine und war im fraglichen Zeitraum Befehlshaber der russischen Schwarzmeerflotte. Beide sollen für Raketenangriffe auf Elektrizitätswerke verantwortlich sein. Auch werden ihnen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Last gelegt.
Vor einem Jahr hatte das Gericht auch internationale Haftbefehle gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin sowie Maria Lwowa-Belowa, die russische Beauftragte für Kinderrechte, erlassen. Beiden werden Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit der Verschleppung und Zwangsadoption ukrainischer Kinder nach Russland zur Last gelegt.
Umfrage: Mehrheit in Deutschland gegen Lieferung von Taurus
Das Nein von Bundeskanzler Scholz zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern in die Ukraine wird von einer grossen Mehrheit der Menschen in Deutschland unterstützt. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur befürworten nur 28 Prozent die Abgabe der Bundeswehr-Raketen mit einer Reichweite von 500 Kilometern für den ukrainischen Abwehrkampf gegen Russland. 58 Prozent sind gegen die Lieferung dieses Waffensystems. Mehr als die Hälfte davon (31 Prozent) lehnen die Unterstützung der Ukraine mit deutschen Waffen sogar grundsätzlich ab. 14 Prozent machten keine Angaben.
Die 2169 wahlberechtigten Deutschen wurde von Freitag bis Dienstag (1. bis 5. März) befragt, also nach der klaren Absage des Kanzlers zur Lieferung von Taurus am Montag vergangener Woche. Hinter seinem Nein steht die Befürchtung, dass Deutschland in den Krieg verwickelt werden könnte, sollten die Marschflugkörper russisches Territorium treffen. (awp/mc/pg)