Kiew – Die Lage im Schwarzen Meer hat sich nach Ansicht des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in den vergangenen Monaten zugunsten seines Landes verbessert. «Es ist uns gelungen, Russland im Schwarzen Meer die Initiative zu entreissen», sagte Selenskyj in Kiew. Dort tagte die Parlamentarische Versammlung der Schwarzmeer-Wirtschaftskooperation (PABSEC).
An der etwa 1000 Kilometer langen Front an Land gingen die heftigen Kämpfe weiter. Der Generalstab in Kiew zählte am Donnerstag 62 Gefechte zwischen russischen und ukrainischen Truppen. Russland unternahm viele Angriffe bei den Donbass-Städten Bachmut und Awdijiwkia.
In der Nacht auf Freitag griffen die russischen Streitkräfte die Ukraine erneut auch mit Kampfdrohnen an, wie die ukrainische Luftwaffe mitteilte. Im Süden und Osten des Landes herrschte Luftalarm. In der Nacht zuvor hatte die ukrainische Flugabwehr nach eigenen Angaben 16 von 18 russischen Drohnen abgeschossen.
Am Freitag ist der 632. Kriegstag. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte im Februar 2022 den Einmarsch in das Nachbarland befohlen. Eine Kriegsgegnerin, die Künstlerin Alexandra Skotschilenko, wurde in ihrer Heimatstadt St. Petersburg wegen einer Protestaktion zu sieben Jahren Lagerhaft verurteilt. Finnland bereitete sich darauf vor, Freitagnacht vier Grenzübergänge nach Russland zu schliessen.
Ukraine verdrängt Russland aus dem Westen des Schwarzen Meeres
«Mein Land hat die Situation im Schwarzen Meer grundlegend verändert. Russland hat die Kontrolle verloren», sagte Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache. Den ausländischen Parlamentariern erläuterte er in Kiew, russische Kräfte hätten den westlichen Teil des Schwarzen Meeres weitgehend räumen müssen und sich in den östlichen Teil zurückgezogen.
Mit Beginn des Angriffskrieges im Februar 2022 blockierte Russland die ukrainische Schwarzmeerküste zunächst völlig; die Ukraine verlor ihre Marine. Später liess Moskau in einer Vereinbarung mit der Türkei und den Vereinten Nationen begrenzte ukrainische Getreideexporte per Schiff zu. Seit August betreibt die Ukraine einen Seekorridor Richtung Bosporus ohne russische Sicherheitsgarantien. Etwa 100 Schiffe haben seitdem die immer noch riskante Passage gewagt.
Militärischer Hintergrund sind ukrainische Erfolge wie die Versenkung des russischen Kreuzers «Moskwa» und die Rückeroberung der Schlangeninsel vor der rumänischen Küste 2022. In diesem Jahr setzte die Ukraine mit westlichen Präzisionswaffen Stellungen der russischen Flugabwehr, Militärflugplätze und Kommandozentralen auf der Halbinsel Krim ausser Gefecht. Auch mehrere Schiffe der Schwarzmeerflotte wurden schwer beschädigt. Russland kann aber immer noch die ukrainischen Häfen am Meer und an der Donau mit Kampfdrohnen oder Raketen beschiessen. Der 1992 gegründeten Schwarzmeer-Wirtschaftskooperation (BSEC) gehören 13 Staaten der Region an, darunter auch Russland.
Neuer britischer Aussenminister Cameron in Kiew
Selenskyj würdigte den Besuch des neuen britischen Aussenministers David Cameron, der erst am Montag ernannt worden war. «Es ist ein Signal, dass wenn man der Ukraine hilft, zugleich der globalen Stabilität hilft», sagte der Präsident abends.
In Kiew sicherte der ehemalige britische Premierminister der Ukraine auch für die Zukunft militärische Unterstützung durch Grossbritannien zu. «Wir werden die moralische Unterstützung, die diplomatische Unterstützung, die wirtschaftliche Unterstützung und vor allem die militärische Unterstützung fortsetzen», sagte Cameron einem Video des ukrainischen Präsidialamtes zufolge. «Nicht nur dieses Jahr und nächstes, sondern so lange, wie es nötig ist.»
Grossbritannien gilt seit dem russischen Einmarsch vor fast 21 Monaten als einer der wichtigsten Unterstützer der Ukraine. Cameron reiste in die Schwarzmeerstadt Odessa weiter. Dort kündigte der Aussenminister Unterstützung für Evakuierte aus den Frontgebieten an.
Künstlerin ersetzt Preisschilder durch Sprüche gegen den Krieg
Die russische Anti-Kriegs-Aktivistin und Künstlerin Alexandra Skotschilenko wurde in St. Petersburg am Donnerstag zu sieben Jahren Straflager verurteilt. Die 33-Jährige hatte in einem Lebensmittelladen Preisschilder durch Losungen gegen den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ersetzt. Sie musste sich wegen der Verbreitung angeblicher Falschinformationen über Moskaus Armee verantworten. Die Musikerin und Dichterin war nach der Aktion im April 2022 festgenommen worden und sass seither in Untersuchungshaft.
Ihr Fall hatte international auch deshalb Entsetzen ausgelöst, weil sie trotz schwerer Krankheiten inhaftiert blieb. Die Staatsanwaltschaft hatte acht Jahre Straflager beantragt, maximal drohten ihr zehn Jahre Haft. Skotschilenko ist von den Menschenrechtsorganisationen Amnesty International und Memorial als politische Gefangene eingestuft worden. (awp/mc/pg)