Lugano – EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat am ersten Tag der Ukraine-Wiederaufbaukonferenz den Reformprozess in der Ukraine gelobt. Es gehe darum, den Traum vieler Ukrainerinnen und Ukrainer von einem freien, demokratischen und europäischen Land am Leben zu erhalten. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gab per Video seiner Hoffnung Ausdruck, die Konferenz möge zu «einem ersten grossen Schritt» werden.
Der Angriffskrieg von Russland sei eine «Invasion gegen alles, was uns lieb und teuer ist», hielt Selenskyi fest. Er hoffe, dass die Konferenz «zum ersten grossen Schritt für den historischen Sieg der demokratischen Welt» werde. Die Ukraine wiederaufzubauen heisse, den «zivilisierten Lebensraum» wiederaufzubauen.
Er sei dankbar für alle Länder, die sich am Wiederaufbau beteiligten, sagte der ukrainische Präsident. Europa solle aus diesem Krieg stärker hervorgehen. Am Ende seiner Videobotschaft lud Selenskyi «alle» ein, das «wundervollste Land der Welt zu besuchen».
750 Milliarden für den Wiederaufbau
Die ukrainische Regierung will den Wiederaufbau ihres kriegszerstörten Landes zu einem grossen Teil mit russischem Geld finanzieren. Nötig seien nach Schätzungen mindestens 750 Milliarden Dollar, sagte Regierungschef Denys Schmyhal am Montag bei der Wiederaufbau-Konferenz in Lugano. Herangezogen werden sollten die rund 300 bis 500 Milliarden Dollar Vermögenswerte des russischen Staates und von Oligarchen, die weltweit eingefroren seien, sagte Schmyhal.
Schmyhal appellierte an Partner, die dringendsten Reparaturen umgehend in Angriff zu nehmen, etwa Wasserversorgung und Brücken. Sein Land habe bereits Infrastruktur im Wert von 100 Milliarden Dollar verloren.
Bundespräsident Ignazio Cassis erklärte in seiner Eröffnungsrede, mit der «Erklärung von Lugano», solle ein Rahmen für einen langfristigen Wiederaufbauprozess entworfen werden. Dabei sei es wichtig, dass der Aufbauprozess über klare Governance-Prinzipien verfüge. Auch die Rollenverteilung zwischen der Ukraine, den Staaten, der internationalen Gemeinschaft, den Bretton Woods-Institutionen, der Zivilgesellschaft und privaten Partnern müsse klar sein.
Natürlich könnten diese Fragen in einer zweitägigen Konferenz nicht abschliessend beantwortet werden, fuhr Cassis fort. Aber es helfe, ein «klareres Bild» zu bekommen und einen Rahmen für den Wiederaufbau zu definieren. Die «Lugano-Prinzipien» sollten einen ersten wichtigen Meilenstein setzen.
Ebenfalls am Montag gab die britische Aussenministerin Elizabeth Truss bekannt, dass Grossbritannien gemeinsam mit der Ukraine die nächste Konferenz in diesem Rahmen organisieren werde. Damit sei das dritte Ziel der Konferenz bereits erreicht, resümierte Cassis am Nachmittag in einer Medienkonferenz. Die ersten beiden Ziele seien die «Prinzipien» und die «Stakeholders» festzulegen.
«Besondere Verantwortung Europas»
EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen lobte in ihrer Rede an der Ukraine-Wiederaufbaukonferenz den Reformprozess in der Ukraine. Es gehe darum, den Traum vieler Ukrainerinnen und Ukrainer von einem freien, demokratischen und europäischen Land am Leben zu erhalten.
Seit den Massenprotesten auf dem Maidan im Jahr 2014 habe das Land grosse Fortschritte etwa bei der Korruptionsbekämpfung gemacht, sagte von der Leyen. «Wir wollen, dass die Ukraine Mitglied der Europäischen Union wird.» Europa habe eine besondere Verantwortung gegenüber der Ukraine – und ein strategisches Interesse, an ihrer Seite zu sein.
Von der Leyen stellte namentlich die Plattform für Investitionen in der Ukraine vor, welche die EU schaffen will. Zudem kündigte sie eine Konferenz von Fachleuten zum Wiederaufbau für den Herbst an, welche die EU-Kommission gemeinsam mit Deutschland organisieren werde. Nur ein ausgereifter Plan schaffe bei Investoren Vertrauen.
Schweizer Know-How in Sachen Energieeffizienz
Bundesrätin Simonetta Sommaruga warf an einer gemeinsam mit Aussenminister Cassis durchgeführten Medienkonferenz einen Blick in die Zukunft der Ukraine. Das Land könne mit einem «klugen Neuaufbau» unabhängig werden von Öl und Gas. Schweizer Unternehmen könnten zudem viel Know-How für einen energieeffizienteren Bau von Gebäuden zur Verfügung stellen.
Das mit dem ukrainischen Minister für Ökologie und natürliche Ressourcen Ruslan Strilets am Montag unterzeichnete Klimaabkommen mobilisiere zusätzliche Mittel in der internationalen Zusammenarbeit, sagte Sommaruga.
Die Konferenz, an der neben der Schweiz und der Ukraine Delegationen der Europäischen Union, aus 39 Staaten und von 16 internationalen Organisationen teilnehmen, dauert bis Dienstag. Am Dienstagvormittag soll die «Erklärung von Lugano» von Bundespräsident Ignazio Cassis und dem ukrainischen Regierungschef Denys Schmyhal verabschiedet werden. (awp/mc/ps)